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Von Steinewerfern und Halstuchbesitzern

In Mecklenburg-Vorpommern wächst die Kritik an den G8-Verfahren

  • Velten Schäfer, Schwerin
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Gerichte im Nordosten werden sich noch lange mit dem G8-Gipfel vom Juni 2007 befassen müssen. Derweil wächst die Kritik an den Verfahren, ein Untersuchungsausschuss scheint möglich. Die Staatsanwaltschaft in Rostock sieht das gelassen.

In den Jahresrückblicken der Zeitungen tauchte die Zahl wieder auf: 1000 Verletzte, davon dutzende »schwerverletzte« Beamte bei dem Zusammenstoß von Polizei und G8-Gegnern am 2. Juni 2007 am Hafen von Rostock. Dabei hatten die Kliniken der Hansestadt dies schon am 4. Juni dementiert: Die Zahl sei nur halb so groß, »schwerwiegende« Fälle habe es nicht gegeben, stationäre Behandlungen waren nicht nötig. Oft ging es, auch bei Polizisten, um die Folgen des von diesen selbst versprühten Reizgases.

Trotz der Langlebigkeit der Horrorzahlen scheint im Nordosten angesichts der Verfahrensflut allmählich ein Umdenken einzusetzen. »G8-Verfahren blockieren Justiz« titelte kürzlich die »Schweriner Volkszeitung«. Und sprach zwar von »Steinewerfern«, die sich vor Gericht »die Klinke in die Hand« gäben, klagte aber auch über eine Einstellungsquote von zwei Dritteln – und darüber, dass die Verfahren die Gerichte noch lange beschäftigen würden.

Das mag sein, meint Dieter Rahmann von der Antirepressionsgruppe in Rostock. Dem Label »Steinewerfer« aber widerspricht er. Nicht zu Unrecht, wie eine Aufstellung der schwerwiegenderen Tatvorwürfe der Rostocker Staatsanwälte zeigt, die ND vorliegt: Von den 1500 Verfahren drehen sich 23 um schweren Landfriedensbruch, womit Steinewerfen üblicherweise geahndet wird. In zehn weiteren geht es um einfachen Landfriedensbruch, worunter auch eine Begünstigung solchen Verhaltens fallen kann. In 59 Fällen geht es dagegen um Verstöße gegen das Versammlungsgesetz, worunter etwa das Tragen von »Schutzwaffen« fällt. Statt von Steinewerfern könnte man also mit mehr Berechtigung von Halstuchbesitzern sprechen. Erst habe man verhaftet, dann überlegt, was vorzuwerfen sei – und oft ohne Weiteres Strafbefehle verschickt. So beschreibt Verina Speckin vom »Legal Team« der Gipfelgegner das Zusammenspiel von Polizei, Staatsanwaltschaft und Justiz während des Gipfels.

Nun könnte sich in Schwerin doch noch ein Untersuchungsausschuss auch mit dieser mutmaßlichen Vermischung von Exekutive und Jurisdiktion befassen. Die FDP, deren Stimmen dazu nötig sind, hat ihre Position geändert und verhandelt nun darüber mit der LINKEN. »Man kann sich durchaus fragen, warum bei so vielen Verfahren so wenig herauskommt«, so ein Fraktionssprecher. Ob er eine zu lasche Justiz oder übereifrige Verfolger meint, lässt er allerdings offen. Beim Meinungsumschwung in der FDP habe auch der Spruch des Bundesgerichtshofs eine Rolle gespielt, der jüngst die Durchsuchungen im Vorfeld des Gipfels für illegal erklärt hat. Der Rostocker Oberstaatsanwalt Peter Lückemann sieht dem jedoch entspannt entgegen: »Wir haben lehrbuchmäßig gearbeitet.«

Dagegen spricht der letzte Prozess. Die Staatsanwaltschaft hatte fünf Personen Hausfriedensbruch vorgeworfen, weil sie Monate vor dem Gipfel in einem zwischen Betreiber und Gemeinde umstrittenen Wäldchen nahe des Hotels angetroffen wurden. Dabei erlaubten Schilder explizit das Betreten der Wege auf dem Gelände. Die Anklage brach zusammen, die Angeklagten wurden freigesprochen – doch ihre Daten sind nun bekannt.

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