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130 Jahre Zweisamkeit

Russlands Präsident Wladimir Putin auf Staatsbesuch in Sofia

  • Thomas Frahm, Sofia
  • Lesedauer: 3 Min.
In Bulgariens Hauptstadt wehen die weiß-blau-roten Flaggen Russlands. Mit einem Galakonzert wurde am Donnerstagabend das »Bulgarisch-Russische Jahr« eröffnet. Auf Plakaten in Sofias Straßen heißt es indes »Putin raus!«
Dank an Russland: Sofias Alexander-Newski-Kathedrale.
Dank an Russland: Sofias Alexander-Newski-Kathedrale.

Fünf Jahre nach seinem ersten Staatsbesuch weilt der russische Präsident Wladimir Putin zum zweiten Mal in Bulgarien. Anlass ist die Eröffnung des »Bulgarisch-Russischen Jahres«, das an den maßgeblichen Beitrag Russlands zur nationalen Wiedererstehung Bulgariens vor 130 Jahren erinnert. Welches der Ereignisse im kulturellen Begleitprogramm Putin während seines zweitägigen Aufenthalts in Sofia wahrnehmen wird, blieb bis zum letzten Moment offen. Ohne Zweifel jedoch wird er seinen Fuß in die Alexander-Newski-Kathedrale setzen, denn eine der größten und prunkvollsten orthodoxen Kreuzkuppel-Basiliken auf der Balkanhalbinsel ist nicht etwa ein Kulturdenkmal aus weit zurückliegenden Jahrhunderten. Vielmehr wurde sie errichtet zum Gedenken daran, dass zigtausende russische Soldaten 1877/78 in einem Krieg gefallen sind, der Bulgarien die Befreiung von osmanischer Herrschaft brachte und die eigenständige nationalstaatliche Entwicklung ermöglichte.

Am Ende dieser Entwicklung – 2004 – trat das Land indes der NATO bei, was zuvor heftige Proteste des heutigen Staatsgastes ausgelöst hatte. Dabei war auch die Mitgliedschaft in der EU, die 2007 Wirklichkeit wurde, keineswegs die einzige Perspektive Bulgariens nach 1989. Im Gespräch waren seinerzeit auch eine südosteuropäische Wirtschaftsföderation und eine Freihandelszone, die über Russland bis nach Asien reichen sollte. Doch dazu kam es nicht. Teils wegen der Zerstrittenheit der Balkanstaaten, teils wegen der betont antirussischen Linie Bulgariens vor allem zwischen 1996 und 2001, teils aber auch deshalb, weil selbst für Russland der EU-Wirtschaftsraum von viel größerer Bedeutung war als der südosteuropäische mit seinen darniederliegenden Volkswirtschaften.

Umso überraschender ist die Tatsache, dass sich ausgerechnet im ersten EU-Jahr Bulgariens das Handelsvolumen mit Russland im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt hat. Genau genommen ist die EU sogar verantwortlich dafür, dass sich dieser Trend fortsetzen wird. Eine der Bedingungen für den Beitritt Bulgariens war Sofias Zusage, die 1982 gebauten Blöcke 3 und 4 des Kernkraftwerks Koslodui bis Ende 2006 zu schließen. Dies führte zum Entschluss der bulgarischen Regierung, das Kernkraftwerk bei Belene weiterzubauen, und zwar mit Russland. Der Auftragswert wird auf 4 Milliarden Euro geschätzt. Ein weiteres wichtiges Projekt, das heute beschlossen werden soll, ist die Gründung einer russisch-bulgarisch-griechischen Gesellschaft zum Bau einer Erdöl-Pipeline zwischen dem bulgarischen Hafen Burgas und dem griechischen Alexandropolis.

Kritiker beklagen, dass Bulgarien – zu RGW-Zeiten treuester Verbündeter Moskaus – sich damit erneut in völlige Abhängigkeit von Russland begeben und damit politisch erpressbar werden könnte. Solche Stimmen werden vor allem aus den Reihen der rechten Opposition laut, die es sich zu ihren Regierungszeiten gründlich mit Moskau verdorben hatte. Tatsache ist, dass Bulgarien seinen Kernbrennstoff aus Russland bezieht, die größte Petrolfirma im Lande, Luk-oil, ist russisch, und auch die Gaslieferungen kommen aus Russland. Außenminister Iwailo Kalfin entgegnete den Kritikern vor dem Putin-Besuch: »Über viele Jahre waren die Beziehungen zu Russland ideologisch belastet, doch heute ist es im Interesse Bulgariens, seine geografische Lage zu nutzen, um ein zentraler Energieverteiler zu werden.« Und Ministerpräsident Sergej Stanischew, der in der Sowjetunion geboren wurde, dort studiert hat und von den Rechten natürlich gerne als Moskaus Agent diffamiert wird, dämpfte Befürchtungen, Bulgarien könne sich erneut willenlos russischer Übermacht beugen: Keiner der Verträge müsse unterschrieben werden. Was den Plan einer Gas-Pipeline auf dem Grund des Schwarzen Meeres angeht, schloss Stanischew eine Vereinbarung zum gegenwärtigen Zeitpunkt sogar aus.

Auf politische Balance bedacht, traf sich Außenminister Kalfin erst Anfang Dezember in Washington mit Condoleezza Rice, um die Zusammenarbeit mit den USA zu beraten. Und wenige Tage nach Putins Abreise wird der ehemalige Dissident und Lagerinsasse Wladimir Bukowski nach Bulgarien kommen. Der hatte bei der Präsidentenwahl in Russland kandidieren wollen, was ihm jedoch wegen seiner zweiten, britischen Staatsbürgerschaft verwehrt wurde. Weshalb seine bulgarischen Anhänger in Sofia Plakate klebten: »Putin raus!«

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