Grundversorgung in Gefahr

Bundestagsfraktion der LINKEN erarbeitete Rundfunkgutachten

  • Hanno Harnisch
  • Lesedauer: 4 Min.
Deckblatt des Gutachtens Repro: ND
Deckblatt des Gutachtens Repro: ND

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steckt in einem großen, zum überwiegenden Teil selbstverschuldeten Dilemma. Hörfunk und Fernsehen sind dringend reformbedürftig.« Das ist die Kernaussage eines jetzt vorgelegten Gutachtens, welches von der Bundestagsfraktion der LINKEN – unter Zuhilfenahme von externem Sachverstand – vorgelegt wurde. Es droht »die Aushebelung des dualen Rundfunksystems«, wie der Parteivorsitzende und Medienpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der LINKEN, Lothar Bisky, gleich eindringlich in seinem Geleitwort umreißt. Doch keine Behauptung ohne Beweis. Der wird erbracht auf über 60 Seiten Analyse.

Untersucht wurden die »hochproblematischen Tendenzen der Kommerzialisierung von ARD und ZDF«. Besteht doch gerade die Aufgabe – und auch die Existenzberechtigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – in der Sicherung der Grundversorgung mit Informationen, »deren höchstes Gut eine relative Unabhängigkeit in der Berichterstattung und die Abbildung von Meinungsvielfalt« darstellt. Bislang war es so, dass diese Aufgabe von den privatrechtlichen Anbietern nicht oder nicht ausreichend übernommen werden konnte – oder wollte. In den letzten Jahren ist eine fortschreitende Konvergenz der verschiedenen Systeme zu konstatieren, so dass da langsam das zusammenwächst, was nicht zusammengehört.

Das Bundesverfassungsgericht hat schon mehrere grundsätzliche

» Rundfunkurteile« gefällt. So hat es 1986 deutlich gemacht, dass die Existenzberechtigung für die privaten Rundfunk- und Fernsehanbieter von der Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zwingend abhängt. Alleiniges Abstellen auf Kommerz und Quote der Privaten sind nur erlaubt, wenn die Grundversorgung der Bevölkerung durch öffentlich-rechtliche Sender sichergestellt ist.

Doch jetzt weist die Studie nach, dass die Suche nach einem dritten Weg zwischen Qualität und Quote vorläufig entschieden ist. Allerdings zugunsten der »massenkompatiblen Verramschung von Sendezeit an qualitativ minderwertige Serien, effekthaschende Shows und abendfüllende ›Familiensendungen‹«. Die für die Öffentlich-Rechtlichen einst prägenden Informationsangebote werden zunehmend aus der Prime-Time in die späten Abendstunden verschoben, kritischer Journalismus kommt in den allermeisten Fällen nicht mehr über den Sensationsjournalismus von Johannes B. Kerner hinaus. Wenige Ausnahmen, wie die Ausstrahlung von Politik-Magazinen oder dem vorbildlichen Angebot »Hart aber Fair« mit Frank Plasberg, das erst jüngst vom WDR in die ARD verschoben wurde, können, so Bisky, »die in der Gesamtschau katastrophale Situation nicht mehr überspielen«.

Was droht, ist nicht nur der Zusammenbruch des dualen Rundfunksystems, sondern, so die Studie, »ein kompletter Identitätsverlust der öffentlich-rechtlichen Sender«.

Steht es wirklich so dramatisch um ARD und ZDF? Die Studie sagt eindeutig: ja! Erstmals wird das Ausmaß der Selbstkommerzialisierung der gebührenfinanzierten Sender dargestellt. Was bislang allenfalls vermutet und bruchstückhaft der Öffentlichkeit bekannt wurde, liegt nun Schwarz auf Weiß vor. Nur einige Stichworte: undurchsichtige Finanzstrukturen, zweifelhafte Firmenbeteiligungen, Auslagerung von Produktionen zur Umgehung des üblichen Gehaltsgefüges für Moderatoren, Intransparenz, Missbrauch, Schleichwerbung, undurchsichtige Deals mit Gratisminuten und Agenturvergütungen, verbotenes Sponsoring, Lobbyismus, Bezahlung von Exklusivinterviews, Vermischung von Journalismus und Produktwerbung. Das Gutachten kommt zu dem Schluss: »Das Grundprinzip für journalistische Freiheit und Ethik, nämlich das einer strikten Trennung zwischen Redaktion und Werbung, verschwimmt zusehends.«

Was jetzt nottue, seien massive Veränderungen und Reformen, insbesonde eine »Überprüfung der finanziellen Beteiligungen und der Verwendung gebührenfinanzierter Mittel«, die immerhin jählich über sieben Milliarden Euro betragen. Quasi zeitgleich mit dem Gutachten der LINKEN wurde auch der 16. Bericht der KEF, der »Kommissission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten«, veröffentlicht. Die kommt zu dem Schluss, eine Anhebung der Rundfunkgebühr um 95 Cent zum 1. Januar 2009 für die Dauer von vier Jahren zu empfehlen. Die Anstalten hatten einen Bedarf von 1,50 Euro errechnet.

Die Bundestagsfraktion der LINKEN will es nicht bei diesem Gutachten bewenden lassen. Momentan wird an einem Positionspapier zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gearbeitet. Um Berücksichtigung der neuen Voraussetzungen und Entwicklungen geht es dem Medienpolitischen Sprecher Bisky. Jahrelang widmete er sich zu DDR-Zeiten selbst der Medienforschung, seit 1991 wirkte er (bis zu seiner Wiederwahl als Parteivorsitzender im Jahre 2003) im Verwaltungsrat des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg, später mit dem SFB zum RBB fusioniert. Bisky will jetzt Werbefreiheit für ARD und ZDF und auch ein striktes Verbot von Sponsoring. Vor allem aber muss endlich die Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in einer digitalen Medienordnung neu definiert werden.

In 18 Thesen fasst dieses gründlich erarbeitete Gutachten seine Erkennnisse zusammen. Die Bandbreite der Forderungen geht dabei von einer »Entpolitisierung der Rundfunkräte« über Finanzkontrolle, Transparenz bis hin zu der Aufforderung, »den Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks genauer zu fassen«. Widerspricht doch – nach Auffassung der Gutachter – »der zunehmend erwerbswirtschaftliche Betrieb und Verwertungsansatz« der verfassungsrechtlichen Prämisse der Gebührenfinanzierung. Die Zukunftsdiskussion hat also längst begonnen. Nur ein »Weiter so« kann es nicht geben.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal