Rohrputzen an der Heimatfront

Von Jürgen Reents

  • Jürgen Reents
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Schlacht um deutsche Kampfeinsätze hat begonnen, und ihr erstes Terrain ist die Heimatfront.

In der aktuellen Ausgabe der »Zeit« erinnert Josef Joffe an die Preußen, deren rechtzeitiges Eintreffen in Waterloo 1815 verhindert habe, dass Napoleon Kaiser von Europa wurde. Und fügt an: »Im Krieg kommt es eben darauf an, wer wann und wo aufmarschiert. In Afghanistan aber verweigern sich Blüchers Nachfahren dieser simplen Einsicht.« Blücher wird der Herausgeber der »Zeit« nicht zufällig als Vorbild gewählt haben. Er trug den Beinamen »Marschall Vorwärts«. Dahin (Vorwärts!) soll es auch für die Spätpreußen gehen, diesmal um die Nato zu retten. Das Bündnis dürfe »nicht in Afghanistan zugrunde gehen« – schon gar nicht wegen deutscher Verspätung. Doch geht es Joffe im Kern weniger um die Nato als um deutsche Macht. Eine »Mega-Schweiz« sei keine Perspektive: »Wer aber die Macht will, muss auch Verantwortung tragen.« Berlin könne keinen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat fordern, »wenn es Einfluss für sich ohne Einsatz für das Ganze« wolle. Mit solch nebeligen Worten wurde schon zu anderen Zeiten Kriegsbereitschaft nicht nur umschrieben, sondern auch herbeigeschrieben.

Drei Tage vor der »Zeit« benahm sich ein anderes Blatt weniger verklausuliert. Die FAZ stellte Michael Rühle, Referatsleiter der Politischen Abteilung der Nato, eine ganze Seite zur Verfügung, um den »Rubikon« zu überschreiten. Rühle fordert vom Bundestag die Bereitschaft zu »Kampfeinsätzen mit all ihren Konsequenzen«. Es ginge nicht mehr um »moralisch gebotene Ausnahmen« wie beim Kosovo und darum, »ermattete Kriegsparteien voneinander zu trennen«. Gegen den »weltumspannenden Dschihad-Terrorismus« sei »der Westen selbst Kriegspartei«. Der Autor konstatiert erfreut, dass »die Rede von der ›Zivilmacht‹ Deutschland inzwischen verstummt« sei, bemängelt aber: »den militärischen Beitrag Deutschlands zur internationalen Krisenbewältigung sieht man nach wie vor ausschließlich in der Friedenserhaltung«.

Wer sich an dieser Stelle die Augen reibt, ahnt nicht, was der Autor noch parat hat: Er schiebt alle Argumente fort, mit denen die Öffentlichkeit bisher gedrängt wurde, den deutschen Soldatenversand in ferne Regionen hinzunehmen. Solidarität mit Amerika nach den Terroranschlägen des 11. September? Zu kurz gedacht. Mit bewaffnetem Schutz humanitär und beim Wiederaufbau helfen? Ach was, das dient »ausschließlich dem Wohlergehen der gepeinigten afghanischen Bevölkerung«. Rühle will Peter Strucks seinerzeit etwas verlegene Äußerung, dass die Sicherheit Deutschlands »auch am Hindukusch verteidigt« werde, in eine Offensivformel wenden: Die Bundeswehr müsse zur »Einsatzarmee« werden. »Eine Bundeswehr, in der jahrzehntelang das Gebot Gustav Heinemanns galt, wonach der Friede der Ernstfall ist, tut sich erkennbar schwer mit dem Gedanken, den Konflikt als Dauerzustand zu begreifen.« Die »Kultivierung eines Selbstverständnisses, das die Konfliktnachsorge als hochwertiger einstuft als das Gefecht«, müsse aufhören. Das ist kein Lese- und kein Schreibfehler: Der Autor variiert seinen Gedanken mit den Worten, die Streitkräfte sollten kein Selbstbild pflegen, in dem »der bewaffnete Entwicklungshelfer einen höheren Beitrag leistet als der kämpfende Soldat«.

Den Großteil der Politiker hält der Nato-Referatsleiter für feige, weil sie der klaren Orientierung aufs Gefecht (noch) ausweichen. Aber deswegen gibt es ja die konservative Presse. Die putzt derzeit ihre Rohre, aus denen willige Polit-Offiziere und Journalisten das Feld für die Politik freischießen. Damit wieder für Deutschland getötet und gestorben werden darf. Ex-Generalinpekteur Klaus Naumann erinnerte die Politiker in der gestrigen »Welt« an »viele der großen Entscheidungen«, die sie »gegen die Meinung der Mehrheit« getroffen hätten: die Westorientierung, die Wiederbewaffnung, den Euro. Vorwärts! Deutschland muss aus der »Rolle des Getriebenen« raus. Sagen die Treiber – zum Krieg.

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