Entscheidend sind überall Zusatzangebote

Die Private Kant-Schule ging aus einer Hausaufgabenbetreuungs-Initiative hervor

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 5 Min.
Andreas Wegener (l.); im Hof folgt thematisch dem Bau der Schule
Andreas Wegener (l.); im Hof folgt thematisch dem Bau der Schule

Ein Blatt von zehn Karten hält Andreas Wegener in der Hand. Die englischen Begriffe für Kreativität und Zusammenarbeit, Vertrauen und Weltoffenheit, Neugier und Toleranz, Respekt und Unabhängigkeit stehen darauf. »Dieses Blatt enthält alles, was für ein gutes Bildungsprogramm wichtig ist«, sagt er und platziert eine Karte nach der anderen auf dem Tisch. »Bei allem, was wir tun, müssen wir uns fragen, ob wir gut zusammengearbeitet haben, uns Vertrauen entgegen bringen, neugierig sind, engagiert und enthusiastisch, ob wir uns respektieren und schätzen.« Wegener, Geschäftsführender Direktor der Privaten Kant-Schule, betrachtet diese Werte als Basis des Miteinanders im Lehrerkollegium, im Austausch mit den Schülern und auch im Verhältnis der Schüler untereinander.

»Worauf kommt es an in der Schule?«, fragt der ruhige zurückhaltende Mann, der lange in der Erwachsenenbildung tätig war. »Informationen und Wissen, Lehrmethoden und Lehrpläne kann man sich heutzutage sehr leicht besorgen. Dazu braucht man nur ins Internet zu gehen. Doch die Schule ist ein Ort, in dem die Schüler den familiären Zusammenhang verlassen. Sie treffen auf andere soziale Realitäten, müssen sich mit anderen Menschen auseinandersetzen. Die pädagogische Kunst liegt genau in dieser Organisation der vielfältigen Einflüsse«, lautet sein Credo.

Wegener steht einer Schule vor, die dieses Miteinander zum Programm gemacht hat. Besonders deutlich wird dies am Internationalen Baccalaureate (IB), das die in der Lentzeallee in Dahlem gelegene Berlin International School anbietet. Der Abschluss, dem deutschen Abitur vergleichbar, wird in englischer Sprache absolviert. Neben dem üblichen Fächerkanon müssen die Schüler 150 Stunden freiwilliger sozialer Arbeit leisten. In Frage kommen Pflegeheime, Krankenhäuser, kulturelle und soziale Einrichtungen. Dieser »Creativity Action Service«, integraler Bestandteil des IB, fördere die »soft skills« der Schüler, ist Wegener überzeugt. »Sie lernen dadurch Teile der Stadt kennen, die vielen Eltern fremd sind«, umreißt er die Dimension dieser Erfahrung. Ein weiterer Teil des IB besteht aus 150 Stunden Erkenntnistheorie. »Hier geht es darum, dass die Schüler erfahren, warum sie wissen, was sie wissen«, erklärt Wegener.

Weiteres Kennzeichen der Berlin International School ist die internationale Vergleichbarkeit. Am gleichen Tag, nur um die Zeitverschiebung der Zeitzonen versetzt, schreiben alle Schüler der das IB anbietenden Schulen auf der nördlichen Erdhalbkugel die gleichen Prüfungsarbeiten. Südlich des Äquators ist das Schuljahr anders organisiert; es beginnt im Januar und endet im Dezember. Laut Statistik liege die Berlin International School im internationalen Mittelfeld, berichtet Wegener. Von der Aussagekraft der nackten Zahlen ist er allerdings nicht überzeugt. »Man müsste die Bedingungen, unter denen die Schulen arbeiten, in die Bewertung einfließen lassen«, schlägt er vor.

Pädagogisch hält er das globale Zentralabitur sogar für eher kontraproduktiv. »Die Gefahr liegt nahe, dass man die Schüler vor allem auf die Prüfungen vorbereitet«, schätzt er ein. Abfragewissen statt fundierter Erkenntnis steht zu befürchten. Das IB hat man gewählt, um den Schülern internationale Studienkarrieren zu ermöglichen. Zwar richtet sich die Berlin International School auch an Berliner Eltern, die ihre Kinder zweisprachig aufwachsen lassen wollen. Primäre Zielgruppe sind aber die Kinder von internationalen Wissenschaftlern, Diplomaten und Managern, die für begrenzte Zeit in Berlin tätig sind und die ihre Sprösslinge am nächsten Arbeitsort an internationalen Schulen ähnlichen Typus anmelden.

Der Unterricht erfolgt jahrgangsweise, wenngleich die Schule den Vorteil der Anwesenheit jüngerer und älterer Schüler zu Patenschaften nutzt. »Das ist besonders in der Schuleingangsphase wichtig. Die älteren Schüler führen die Erstklässler in die neue Welt ein«, erläutert Wegener.

Zur Privaten Kant-Schule gehören außerdem ein Kindergarten, in dem bereits spielend Englisch gelernt wird, eine bilinguale Grundschule (die Internationale Schule Berlin), eine Gesamtschule, die aufs deutsche Abitur ausgerichtet ist, und eine Berufsakademie. Diese vier Bereiche befinden sich in der Steglitzer Körnerstraße, in einem Neubau am Rande der Stadtautobahn, der in Form eines Schiffes gestaltet ist. Insgesamt 800 Kinder und Jugendliche werden hier betreut, etwa 750 in der Lentzeallee sowie 340 Kinder in einer weiteren Grundschule in der Steglitzer Grunewaldstraße.

Die Private Kant-Schule ist zu einem Südwest-Berliner Bildungsuniversum geworden, allerdings einem, das kostet. 390 Euro pro Monat beträgt die Gebühr, hinzu kommt eine einmalige Aufnahmegebühr von 250 Euro. Gegenleistung sind Unterricht und Ganztagsbetreuung. Entstanden ist die Schule aus einer Initiative zur Hausaufgabenbetreuung in den 50er Jahren. Erster Baustein war die Grundschule in der Grunewaldstraße. Ende der 80er Jahre wurde die Berufsfachschule gegründet, 1998 schließlich wurden die bilingualen Zweige ins Leben gerufen.

Der englischsprachige Fachunterricht wird von einer internationalen Lehrerschaft getragen. Auffällig ist aber auch die Selbstverständlichkeit, mit der deutsche Lehrer und Erzieher zwischen den Sprachen wechseln. Die Zweisprachigkeit sieht Wegener vor allem als späteren beruflichen Vorteil an. In jüngeren Jahren lernt man Sprachen mit weniger Aufwand. Ein positiver Effekt besteht sicher auch in den vielfältigen synaptischen Verbindungen, die durch den frühen Spracherwerb hergestellt werden.

Einen besonderen kognitiven Vorteil sieht Wegener darin aber nicht. »Entscheidend ist, dass überhaupt Zusatzangebote gemacht werden. In Nordrhein-Westfalen wollen die Grundschulen jedem Kind beibringen, ein Instrument zu spielen. Garri Kasparow wird auf Schach schwören. Für andere ist Bewegung wichtig«, meint er abschließend.

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