• Kultur
  • Der Preis der Leipziger Buchmesse

Nichts täuscht so wie Ruhe

Ulrich Peltzers Roman lockt ins Radikale

  • Sabine Stefan
  • Lesedauer: 3 Min.
Ulrich Peltzer: Sein Roman »Teil der Lösung« erschien im Ammann Verlag (350 S., geb., 19,90 EUR)

Der Schriftsteller ist Beauftragter des ganz anderen Lebens. Seine Arbeit siedelt in den Rissen, von denen man nicht weiß, ob da die alte Welt hineinstürzen oder das Neue eruptiv hervorbrechen wird. Arbeit in der Gefahrenzone. Ulrich Peltzer, Jahrgang 1956, porträtiert in seinem Roman »Teil der Lösung« Menschen in der Nähe jenes Risses, der den Weltzustand prägt – einen Zustand zwar jenseits der Revolutionen, aber doch auch einen Zustand nicht besiegelter, nicht vergrabener, nicht erlöster Spannungen.

Christian Eich, die Hauptgestalt dieses eisig genauen, mit dem Journalisteninstrument Recherche und Observation brillant spielenden Romans, ist ein Vierzigjähriger, zwischen den Optionen lebend. Er wandert, stolpert zwischen den Erwerbsangeboten des freien Kultur- und Lifestyle-Journalismus, ein nicht Festgelegter, ein Elementarteilchen, ein Prototyp des gelebten Eklektizismus, der im Dunstkreis seiner gut situierten Freunde mit trügerischem Gleichmut alle Predigten vom löblichen satten Leben über sich ergehen lässt. Weil er in sich eine andere Lebensader spürt, sie freihalten will von den tödlichen Gerinnseln sehnsuchtsloser Einfriedung im bürgerlichen Spiegelglaskäfig.

Eich möchte der ewige Anfänger bleiben, ein Spurenleger ins Nebelland der großen Träume. Akribisch, ehrgeizig, erwartungsvoll bereitet er ein Interview vor mit ehemaligen Terroristen der italienischen Roten Brigaden, die in Paris untertauchten. Parallel dazu erzählt Peltzer die Liebesgeschichte zwischen Eich und der jungen Literaturstudentin Nele. Ein Mädchen an den Grenzen zum subversiven Widerstand – gegen die Manie der Überwachungskameras, gegen den Konsumterror in den Fußgängerzonen. Ein Widerstand des Arguments, der demokratisch legitimierten kritischen Aktion, aber doch ein Protest mit unterschwelligen Neigungen zum radikalen Bruch mit der Legalität.

Ulrich Peltzer erzählt zum einen eine packende Liebesgeschichte, die Geschichte zweier paralleler Leben, die aber im gleichen Urgrund der Unzufriedenheit wurzeln. Zum anderen fügt sich diese Konstellation zu einem eindringlich nüchternen Bild vom Auflösungsexzess einer öffentlich behaupteten Ordnung. Die Welt, die Peltzer zeichnet, ist von bedrohlichen Bewegungen umringt. Als sei diese gegenwärtige Welt hineingehalten in ein Nichts, in dem sich die explosiven Kräfte auf einen neuen Urknall vorbereiten.

Kein Roman der jüngsten Jahre zeigt so kühl, so filmschnittartig, so hart den hohen Täuschungsgrad unserer Wohlstandsbalance; durch die Seiten dieses Buches kriecht der unaufhaltsame Terror; der Aufruhr bereitet sich seinen Boden just dort, wo wir vor ihm ausweichen, in der lässig vorgetragenen Ohnmacht der diversen, sehr verträglichen Kulturpessimismen. Ohne jede Psychologisierung, gleichsam ganz im Ton der abgeklärten Zeitströme, erreicht Peltzer eine ungemein hohe Plastizität; er schreibt seine Geschichte in eine erregende Uneindeutigkeit hinein, die ein neues Zeitalter des Widerspruchs ankündigt, der keine Angst vor Konsequenzen hat.

Der Autor schreibt beängstigend sicher, beklemmend wahrhaft an unserer Zeit der Anschläge, der wiederkehrenden Menschenopfer entlang. Wo aus protestierendem Gemüt jeden Moment wieder terroristische Bandenballung werden kann. Wo die RAF zum Erinnerungsobjekt der Salons wurde, da lässt Peltzer Menetekel erscheinen. In einem großen, so geheimnisvoll schwebenden wie aufreizend tempogeladenen Thriller über aufgeladene Gegenwart.

Ulrich Peltzer: Sein Roman »Teil der Lösung« erschien im Ammann Verlag (350 S., geb., 19,90 EUR)

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