Olympischer Waffenstillstand

Kolumne: Olympischer Waffenstillstand

Um Olympia wird gestritten. War es »schändlich«, dass im antiken Hain von Olympia drei Mitglieder von »Reporter ohne Grenzen« gegen die chinesische Tibet-Politik protestierten, wie es die Regierung in Peking tags darauf bezeichnete? Nein, es war eine Äußerung des Protestes, wie er heutzutage an jedem Ort Europas passieren kann, ob es nun ein öffentliches Gelöbnis oder ein Wirtschaftsgipfel ist, dem es zu widersprechen gilt. War es Zensur, als das griechische Fernsehen bei seiner Live-Übertragung seine Kameras von den Protestierenden weg in die Zuschauermenge hielt? Schon eher. Zumindest aber vorauseilender Gehorsam, auf den man sich in der kommenden Zeit sicherlich einstellen muss.

Ist es dagegen »ein Blankoscheck für China«, wie es Grünen-Chefin Claudia Roth nannte, dass sich der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) trotz der Unruhen in Lhasa darauf festlegte, keinesfalls die Olympischen Spiele zu boykottieren? Wohl kaum.

Noch 135 Tage dauert es, ehe am 8. August mit der Eröffnungsfeier die Weltspiele des Sports beginnen sollen. Die chinesische Regierung wird sich in diesen Tagen vor dem völkerverbindenden Sportfest wohl noch oft genug wünschen, dass keine Kameras die unfrohe Kunde von Protesten in alle Welt übertragen wird. Schließlich hat sie selbst entschieden, den olympischen Fackellauf nicht nur auf den Gipfel des Mount Everest, sondern auch durch das Autonome Gebiet Tibet zu führen. Eine Region, über dessen Status die Volksrepublik zu keinerlei Diskussionen bereit ist. Das Thema Boykott wird in den nächsten Wochen und Monaten immer wieder aufgerufen werden, auch in Deutschland, wo sich die Olympische Bewegung schon deutlich positioniert hat.

Wenig überraschend sind die deutschen Olympier gegen eine Ächtung der Gastgeber der Spiele. Schließlich hat Thomas Bach, Präsident des DOSB und Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees, seine eigenen Boykott-Erfahrungen. Als Florettfechter konnte Bach 1980 in Moskau nicht antreten, weil das NOK der BRD mit 41 Nationalen Olympischen Komitees die Spiele boykottierte. 1984 fehlten in Los Angeles dann postwendend 19 Nationen, darunter die Sportler der DDR. Beide Male bewirkte die Teilnahmeverweigerung keine messbare politische Veränderung, stattdessen aber maßlose Verbitterung und Enttäuschung bei den Athleten, die um ihre Träume vom Olympiastart gebracht wurden, vielleicht genau zu jenem Zeitpunkt, an dem sie sich nach jahrelangem harten Training in der Form ihres Lebens befanden.

Im antiken Olympia galt einst der »Olympische Waffenstillstand«. Schon Monate vor Beginn wurden die Kampfhandlungen in der Region rund um Olympia eingestellt, damit anreisende Athleten und Gäste bei den Spielen freies Geleit hatten. Dem olympischen Chefdiplomaten unserer Tage, IOC-Präsident Jacques Rogge, fiel angesichts der jüngsten Boykottdiskussionen nicht viel mehr ein, als dezent an dieses antike Ideal zu erinnern: »Wir schicken heute die Nachricht des Olympischen Waffenstillstandes. Die Olympischen Spiele müssen in einer friedlichen Umgebung staffinden«, sagte der Belgier.

Zur Erinnerung: 135 Tage – wie heute – vor den Winterspielen von 2002 in Salt Lake City befanden sich die Truppen der US-Armee und ihrer Verbündeten in Afghanistan bei der Operation »Enduring Freedom« – zur »Selbstverteidigung«. Das Wort Boykott ging damals keinem so leicht über die Lippen. Heute droht sogar schon das französische TV damit. Mit Olympiapolitik ist schwerwiegenden politischen Problemstellungen nicht beizukommen.

Auch für Peking 2008 sollte das olympische Prinzip zählen, das immer noch besagt, dass das Wichtigste an Olympia nicht die gelaufene Zeit, nicht die übersprungene Höhe, nicht die erreichte Platzierung und schon gar nicht das demonstrative Fernbleiben ist. Nach dem alten Coubertinschen Ideal bleibt die Teilnahme das Wichtigste. Die olympischen Ideale entfalten ihre Wirkung, wenn überhaupt, in erster Linie während der Spiele. Das gilt auch in China.

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