Endet Kreisreform in Greifswald?

Schweriner Opposition hält Reform-Prozedere für verfassungswidrig

  • Velten Schäfer, Schwerin
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Große Kolition in Mecklenburg-Vorpommern will die seit Jahren strittige Verwaltungs- und Kreisreform im Eiltempo durchziehen. Die Opposition sagt der Reform indes ein erneutes Scheitern vor dem Landesverfassungsgericht in Greifswald voraus – unter anderem, weil die Enquete-Kommission zur Reform ihre Aufgabe nicht korrekt erfüllt habe.

Wenn die Enquete-Kommission (EKO) zur Verwaltungs- und Kreisreform im Schweriner Landtag zusammentritt, werden die Bänke im Plenarsaal umgestellt. Sie sind dann nicht mehr nach Fraktionen aufgereiht und frontal aufs Präsidium ausgerichtet, sondern bilden ein großes Quadrat, so dass die Mitglieder der Kommission einander in die Augen blicken können. Eine Sitzordnung, die signalisieren soll: In diesem Gremium geht es nicht um Parteien, Fraktionen und Disziplin – sondern um sachverständige Debatten, das offene Wort zum Wohle des Landes.

Keine Gutachten, keine Diskussion
Dieser Eindruck täuscht. So sitzen in der EKO zwar nicht nur Landtagsabgeordnete, sondern auch Kommunalpolitiker, Landräte und Organisationen wie der Städtetag, doch entspricht das Kräfteverhältnis dem im Landtag – und die Parteien bestimmen, welche Kommunal- und Kreispolitiker die Interessen der unteren Ebenen vertreten.

Genau das, so die LINKE-Obfrau in der Kommission, Gabi Mest'an, nach der gestrigen Sitzung, zeige sich im Verhalten der EKO. Entgegen erheblichen inhaltlichen und rechtlichen Bedenken innerhalb und außerhalb der EKO, so die Oppositionspolitikerin, habe die Kommission gestern ihren »Zwischenbericht« zum Reform-Leitbild der Landesregierung durchgewinkt, anstatt sich und die eigene Aufgabe ernstzunehmen. Sollte nun – wie geplant – der Landtag den Bericht zur Grundlage eines Reformgesetzes machen, wäre dies schon deshalb verfassungsrechtlich schwierig, so Mest'an

Schwere Vorwürfe, die von SPD- und CDU-Vertretern in der Kommission selbstverständlich zurückgewiesen werden – doch sprechen einige Umstände in der bisherigen Vorbereitung der Reform für die Sichtweise der Opposition. Der erste davon ist der extrem enge Zeitplan: Während bei der jüngsten Verwaltungsreform in Brandenburg ein Regierungs-Leitbild über ein Jahr lang mit Experten und Betroffenen vor Ort diskutiert wurde, reichen im Nordosten offenbar wenige Wochen für die Meinungsbildung aus. Die EKO hatte am Ende gerade mal drei reguläre Sitzungen Zeit, sich mit dem »Leitbild« auseinanderzusetzen.

»Es wurden keine Gutachten eingeholt, keine unabhängigen Experten befragt und Festlegungen im Leitbild nicht im Ansatz fachlich hinterfragt«, kritisiert auch EKO-Mitglied Helmut Holter (LINKE) die Arbeitsweise der Kommission. Der Ex-Arbeitsminister hätte in den Sitzungen zum Beispiel gern eine sachliche Begründung dafür gehört, dass laut »Leitbild« ein Kreis im Nordosten im Jahr 2020 ausgerechnet 175 000 Einwohner haben und 4000 Quadratkilometer messen soll. »Die Kommission ist ihrem Auftrag nicht gerecht geworden«, folgert Holter. Unter anderem wegen einer unzureichenden Einbeziehung von Kreisen und Kommunen hatte Greifswald seinerzeit den rot-roten Anlauf zu einer Verwaltungsreform kassiert.

Freifahrtschein für die Städte
An einer Stelle unterscheidet sich das Votum der EKO jedoch vom Regierungs-Leitbild: Dort war vorgesehen, bis auf Rostock und vielleicht Schwerin alle Städte »einzukreisen«. Dagegen hatten Wismar, Stralsund, Greifswald und Neubrandenburg protestiert. Als Resultat wurde die »Einkreisung« aus dem Kommissions-Bericht gestrichen. Sollte der Landtag dies übernehmen, so Mest'an, wäre auch das verfassungswidrig: Es verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, bei den Kreisen eine Festlegung zu treffen, nicht aber bei den Städten. Das hatte auch ein Vertreter des Innenministers in der EKO-Sitzung vom 18. Februar zu Protokoll gegeben. Elf Tage später einigte sich die EKO dennoch auf den vorläufigen Freifahrtschein für die kreisfreien Städte.

Bereits vor der Sitzung hatten Landräte Zweifel am Gesamtprojekt geäußert. Barbara Syrbe (LINKE, Kreis Ostvorpommern) und Lutz da Cunha (SPD, Kreis Güstrow) wandten sich in der Presse gegen eine »Reform von Oben« und forderten stattdessen eine engere Kooperation der bestehenden Kreise – die auf Freiwilligkeit basieren oder durch »Hochzeitsprämien« befördert werden solle.

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