Ein V-Mann auf der Anklagebank

Mitgründer der Nazi-Kameradschaft »Sturm 34« war offenbar Informant

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
Wenn am Donnerstag der Prozess gegen fünf Mitglieder der verbotenen Kameradschaft »Sturm 34« aus Mittweida beginnt, ist offenbar auch ein V-Mann unter den Angeklagten.

Diese Woche beginnt in Dresden ein mit Spannung erwartetes Verfahren. Ab Donnerstag sind vor der 14. Großen Strafkammer des Landgerichts fünf Männer aus Mittweida angeklagt. Sie sollen der Kameradschaft »Sturm 34« angehört haben, die nach einem einst in Chemnitz stationierten SA-Bataillon benannt war und deren bis zu 150 Mitglieder in der Stadt in Mittelsachsen durch brutale Überfälle und Einschüchterung eine »national befreite Zone« schaffen wollten. Zum zweiten Mal nach den Verfahren gegen die »Skinheads Sächsische Schweiz« (SSS) sind in Sachsen die Mitglieder einer rechten Kameradschaft nicht nur wegen Körperverletzung und Volksverhetzung, sondern auch wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt.

Zu den Umständen, unter denen sich die im Frühjahr 2007 vom Innenministerium verbotene Schlägertruppe einst zusammengefunden hat, gibt es indes neue Fragen, seit bekannt wurde, dass sich unter den fünf Angeklagten womöglich auch ein V-Mann des Staatsschutzes der sächsischen Polizei befindet. Dieser soll bereits vor Gründung der Kameradschaft im März 2006 als Informant gearbeitet haben. Im Juli 2006 sei er enttarnt und in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen worden, aus dem er später auf eigenen Entschluss wieder ausgestiegen sein soll. Kurz nachdem der V-Mann aufgeflogen war, hatte es in Mittweida die erste große Razzia gegen die Kameradschaft gegeben.

Offiziell äußert sich zu der pikanten Angelegenheit in Dresden derzeit niemand. Eine Sprecherin des Landgerichts Dresden sagte dem ND, dem Gericht sei über einen V-Mann noch nichts bekannt. Auch das Innenministerium will unter Verweis auf das Verfahren weder etwas bestätigen noch dementieren – selbst im Innenausschuss, wo vergangene Woche auf Antrag der LINKEN über das Agieren der Behörden in Mittweida gesprochen wurde.

Umstände des Falls wurden durch eine Petition an den Landtag bekannt. Mit dieser hatte der jetzt angeklagte, in Chemnitz im Gefängnis sitzende Matthias R. um vorzeitige Haftentlassung gebeten. Er erklärte dort, Gründungsmitglied von »Sturm 34« und Informant des Staatsschutzes gewesen zu sein, und behauptet, ihm sei eine Kronzeugenregelung angeboten worden. Weil er jetzt dennoch auf der Anklagebank sitzt, fühle er sich »verschaukelt«, heißt es im Landtag. Einem Bericht der »Freien Presse« zufolge soll ihm von der Staatsanwaltschaft indes angeboten worden sein, eines der laufenden Verfahren einzustellen, wenn er im Gegenzug eine umfassende Aussage vor der Staatsschutzkammer des Landgerichts macht. Mittlerweile soll R. im Gefängnis bedroht worden sein.

Beobachter erinnern sich angesichts der Meldungen an den Prozess gegen die SSS im Jahr 2002. Damals hatte die Frage, ob V-Leute in der Kameradschaft aktiv waren, das Verfahren fast scheitern lassen. Für die Anklage auf Bildung einer kriminellen Vereinigung, so das Gericht damals in einem Brief an das Innenministerium, sei es entscheidend, »ob in der Gründungsphase, etwa bei der programmatischen Festlegung oder bei der Planung von Straftaten, ein Teil der Mitglieder zugleich Mitarbeiter staatlicher Behörden gewesen« sei. Experten wie David Begrich vom Verein »Miteinander« fürchten für das jetzige Verfahren eine Wiederholung: »Das kann den Prozess durchaus zum Platzen bringen.«

Wie das Gericht diesmal mit der Tatsache umgeht, dass womöglich erneut ein V-Mann zu den Mitgründern der Kameradschaft gehört, wird sich zeigen. Im Landtag sorgt der Vorfall bereits für erhebliche Unruhe. Johannes Lichdi, Innenpolitiker der Grünen-Fraktion, erklärt, für ihn stehe »weiterhin der schlimme Verdacht im Raum, dass die Polizei die Informationen des V-Mannes nicht genutzt hat, um Straftaten zu verhindern«. Die Antifa-Expertin der LINKEN, Kerstin Köditz, spricht aus diesem Grunde von einem sich anbahnenden Skandal – und sieht sich in der Auffassung bestätigt, dass »V-Leute keine Probleme lösen, sondern Teil des Problems sind«. Dagegen höhnt die NPD, in Mittweida habe eine »unpolitische Chaostruppe« vermeintliche rechte Gewalt »im Staatsauftrag« verübt.

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