Wünsdorf, Zentrum der Macht

Geschichte sowjetischer Truppen in der DDR im Museum

  • Rainer Funke
  • Lesedauer: 7 Min.
In Wünsdorf entsteht derzeit ein Museum. Es wird der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD), ihrer Geschichte im Kalten Krieg der Supermächte und dem Soldatenalltag gewidmet sein. Von Wünsdorf aus regierte das Hauptquartier die DDR, wann und wenn es Moskau auch immer für nötig erachtete.
Hans-Albert Hoffmann in der derzeitigen Ausstellung zum russischen Soldatenalltag
Hans-Albert Hoffmann in der derzeitigen Ausstellung zum russischen Soldatenalltag

Matwej Burlakow verzog leicht das Gesicht, als er jüngst jenen Ort besuchte, von dem aus er vier Jahre lang die GSSD und deren Abzug befehligt hatte. Ein Pferdestall aus deutscher Kaiserzeit als Gedenkort für seine Elitetruppen? Zunächst hatte der »Deutsch-Russische Förderverein«, zu dessen Gründern Hans-Albert Hoffmann gehört, das Kulturhaus der 16. Luftarmee ausgesucht. Doch das Projekt scheiterte an Millionenforderungen der Landesentwicklungsgesellschaft. So bröckelt das Haus seit gut einem Dutzend Jahren vor sich hin. Und man muss sich damit begnügen, fast 50 Jahre Historie auf 500 Quadratmetern Fläche darstellen zu müssen, die der denkmalgeschützte Stall bereithält.

Die GSSD gehörte zu den mächtigsten militärischen Gruppierungen in Europa – an der Grenze einer bipolaren Weltordnung, aus der sich Konfrontation und Kalter Krieg nährten. Hier hätte es bei militärischen Konflikten die kürzesten Vorwarnzeiten gegeben – im schlimmsten Fall nur wenige Minuten. Deutschland wäre zur kargen verseuchten Mondlandschaft geworden

Aus Wünsdorf wurden mit Stand 1991 etwa 545 000 Soldaten und Zivilbeschäftigte befehligt. Sie verfügten über 180 Raketensysteme, 4209 Panzer, 8209 Schützenpanzer, 3682 Geschütze, 1023 Fla-Raketenkomplexe, 691 Flugzeuge, 683 Hubschrauber, stationiert in 276 Standorten, auf 116 Truppenübungsplätzen und 47 Flugplätzen.

Wie die Besatzungsarmee zum Vorposten wurde, das will das Museum nachzeichnen. Ursprünglich sollte es am 30. August nächsten Jahres eröffnet werden. An diesem Tag vor 15 Jahren waren die letzten Truppen vom Territorium der DDR abgezogen.

Die Mühen des Anfangs lassen vermuten, dass es bis dahin nicht klappt. »Alles braucht seine Zeit«, sagt Hoffmann. Immerhin wurden von russischer Seite Grund und Boden für ein Hotel und eine Begegnungsstätte gekauft, in denen Konferenzen zur Kriegsgeschichte und den deutsch-russischen Beziehungen stattfinden sollen – eine Idee der Moskauer Seite. Langsam aber stetig kommt man voran, bereitet die Sanierung der daraufstehenden Gebäude vor. Allseits hofft man, dass das vielgebräuchliche russische Wörtchen »budjet« – es wird irgendwann und irgendwie – eines Tages in Realität umschlägt.

Für das benachbarte Museum über die Kaiser- und Nazizeit des Ortes, zu dem man später durch einen gläsernen Gang gelangen soll, brauchte es fast sechs Jahre. Deshalb hat das Zentralmuseum der russischen Streitkräfte in Moskau angekündigt, ein oder zwei Wanderausstellungen in Wünsdorf zu stationieren, um die Zeit des Aufbaus zu überbrücken. Zudem sind erste Dokumente, Fotos und Schemata eingetroffen – darunter bislang nicht veröffentlichte. Das Zentralmuseum Moskau verfügt über 800 000 derartige Exponate.

Hoffmann ist sich sicher, dass vor allem historisch interessierte Touristen aus Deutschland nach Wünsdorf kommen werden, aber auch Veteranen der Sowjetarmee, die hier oder anderswo in der DDR gedient haben. Einiges verspricht er sich auch von einer russlandweiten Lotterie, bei der man Reisen in ehemalige GSSD-Standorte der DDR gewinnen kann. »Es gibt ja keine Freundschaft zwischen Staaten, sondern nur zwischen konkreten Menschen, und dies wollen wir fördern«, sagt Oberst Alexander Nikonow, Leiter des Zentralmuseums, dem ND.

Was das künftige Wünsdorfer Museum plakatiert, wird durch ein Buch vertieft, das voraussichtlich im Juli erscheint. Ausführlich betrachten Hans-Albert Hoffmann und Siegfried Stoof unter dem Titel »Sowjetische Truppen in Deutschland. Ihr Hauptquartier in Wünsdorf 1945 bis 1994« die Geschichte der Truppen im globalen Ost-West-Konflikt. »Wir haben die Zeit hautnah erlebt. Wenn wir nicht aufschreiben, wie es war, dann wird irgendwer irgendwann irgendwas aufschreiben«, sagt Hoffmann.

Die Autoren schildern, wie hart das Leben für die russischen Soldaten war, gewissermaßen ständig in vorderster Front Dienst zu tun. Die GSSD schottete sich ab. Geheimhaltung hielt sie aus gutem Grunde für ein hohes Gut. Militärspionage gehörte zum Alltag im Kalten Krieg. Allein der Bundesnachrichtendienst (BND) verführte im Verlaufe von gut 40 Jahren an die 10 000 Kraftfahrer, Omas, Geschäftsleute, Diplomaten, Handelsreisende, Hausfrauen und Studenten dazu, sich ein Zubrot zu verdienen und bei Reisen in und durch die DDR Details über Garnisonen, Tanklager, Flugplätze oder Raketenstellungen zu erspähen.

Die Ausbildung in der GSSD war weitaus härter als anderswo, in den Kasernen lag die MPi neben der blechernen Kascha- oder Borschtsch-Schüssel. Oder man hielt sich tagelang im Panzer auf, wenn es die Lage aus Sicht des Befehlshabers forderte. In jedem der Schlafräume standen an die 100 Betten. Freizeit gab es so gut wie nicht, auch kaum Kontakte zur Bevölkerung. Die Kasernen waren hermetisch abgeschirmt, streng bewacht. Besuche beim Waffenbruder NVA blieben rar, Ausgang oder Urlaub ein Traum.

Für viele Rekruten war es deshalb ein Fluch, in die GSSD versetzt zu werden. »Gott schuf Liebe und Zärtlichkeit, der Teufel Kalaschnikow und Helm, Gott schuf Nachtruhe und Stille, der Teufel das Wecken und den Spieß«, schrieb denn auch ein Rekrut in sein Tagebuch, das er beim Truppenabzug in Wünsdorf zurückließ. Und er fügte an: »Lieber in einer wüsten Ecke in der russischen Heimat als in den blühenden Gärten Deutschlands.«

Ausführlich wird in Buch und Museum dargestellt, wie von Wünsdorf aus die DDR regiert wurde, wenn es Moskau angeraten schien. Aus den 1970er Jahren etwa wird berichtet, wie sich in der sowjetischen Führung Unmut über Alleingänge Walter Ulbrichts breit machte. »Mit ihm ist nichts mehr zu machen«, äußerte auch Marschall Andrej Gretschko, der damalige UdSSR-Verteidigungsminister, als er sich bei einem Besuch belehrt fühlte, wie man alles besser und klüger machen könnte.

Erich Honeckers Vertrauter Werner Lamberz wurde nach einigen Vorgesprächen zu einem Vortrag ins Oberkommando nach Wünsdorf eingeladen. Offiziell übernachtete er dort, flog aber nach Moskau. Als Lamberz am Morgen zurückkehrte, äußerte er nur: »Es ist beschlossen.« Wenig später musste Ulbricht seinen Hut nehmen.

Rings um den 17. Juni 1953 war das Oberkommando in Wünsdorf direkt aktiv geworden, als man das Gefühl hatte, dass sich »die politische Führung der DDR als nicht fähig erwies, diese Krise politisch zu lösen«, wie im Buch festgestellt wird. Eine Division wurde von ihrem Standort bei Potsdam nach Berlin-Karlshorst verlegt, weitere Regimenter in Städten stationiert, in denen man mit Unruhen rechnete, die restlichen Truppen in den Garnisonen und auf den Übungsplätzen in erhöhte Gefechtsbereitschaft versetzt.

Das Kommando führte Marschall Wassili Sokolowski, Chef des sowjetischen Generalstabes, von Karlshorst aus. »Die DDR wurde in dieser Spannungssituation von Karlshorst und Wünsdorf aus regiert.« Grotewohl, Ulbricht, Herrnstadt und Zaisser hatten in Karlshorst eine Unterkunft bekommen und wurden manchmal konsultiert, in anderen Fällen über die Schritte der Sowjetarmee informiert.

Für die Jahre 1989/90 lag wohl ein ähnliches Szenario einer gewaltsamen Einmischung in den Wünsdorfer Panzerschränken. »Wenn ein Befehl von oben gekommen wäre, dann wäre die Armee bereit gewesen loszuschlagen, sie war psychologisch darauf vorbereitet. Ausschlaggebend war, dass dieser Befehl von oben nicht erteilt wurde«, schilderte ein 1990 desertierter russischer Offizier.

Vermutlich hatte das auch damit zu tun, dass damals Moskaus Außen minister Eduard Schewardnadse einen Befehl durchsetzte, der es den Truppen in der DDR untersagte, auch bei instabiler Lage und Massendemonstrationen einzugreifen. Ob sich die Generalität allerdings in jeder Lage daran halten würde, war man sich in Moskau nicht unbedingt sicher.

Solche und ähnliche Details aus der GSSD-Geschichte werden von vielen Vereinen vornehmlich in den Ost-Bundesländern erforscht – zuvörderst in regionalem Bezug – und in kleinen Museen dargestellt. Deshalb sollen sich jene, die wollen, an einem Netzwerk beteiligen. Wünsdorf mag eine Art Leitfunktion übernehmen, Kontakte nach Moskau pflegen, Bemühungen koordinieren und fördern, in den hiesigen Museen untereinander ähnliche Strukturen zu schaffen, um sich gegenseitig zu ergänzen.

Den Part Luftstreitkräfte und Raketen hat der viel besuchte »Erlebnispark Luftfahrt & Technik« auf dem früheren Militärflugplatz Finowfurt übernommen. Es gibt über das Technikmuseum hinaus bereits jetzt Fachtagungen und Ausstellungen zum Kalten Krieg. Klaus-Peter Kobbe, der die Einrichtung leitet, sagt, dass man viel voneinander profitieren werde, wenn das Konzept umgesetzt wird. So etwas gebe es noch nirgendwo – zumindest nicht auf deutschem Boden.

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