Sieg für LINKE?

Fußball-EM: Nachspielminuten

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.

Linke Gesinnung ist mitunter ein hartes Brot. Sie verlangt höchste Odonkor-Qualitäten: Es gilt, am Rand jenes Spektrums, das im Fußball Spielfeld genannt wird, flinker als flink die Realität zu überrennen, dabei immer auf der absoluten Außenlinie zu bleiben, die Linie bloß nicht nach innen (in die Gesellschaft hinein) zu verlassen. Solch ein linksflinker, flinklinker Geist muss also Paradoxes zuwege bringen: Er muss die Beine gleichsam in die geballte und gereckte Faust nehmen. Denn dieser Geist verpflichtet dazu, willkürliche Wahrnehmungen von flirrender Realität sofort, im Sekundenblitz, in eine feste Grundwahrheit zu verwandeln – die unbarmherzig das feindliche politische System freilegt.

So war zu lesen, die WM 2006 sei nicht einfach nur ein Ereignis gewesen, nein, man habe mit ihr (Geheimauftrag der noch größeren Koalition CDU/SPD/DFB) den Aufschwung hochzujubeln versucht. Und in diesem Jahr? Die soeben gemeldete Unzufriedenheit vieler Deutscher mit der unsozialen Marktwirtschaft solle just durch die ausgeschüttete Droge EM-Fußball kompensiert werden. Demzufolge: Lasse sich bloß niemand von Spielberichten täuschen! Die möchten doch nur den Armutsbericht vergessen machen. Und rettungslos in der Manipulationsmaschine steckt, wer jetzt fahrlässig nur »Österreich« sagt und nicht: »Österreich, das Land, in dem Amstetten liegt«. So viel Zeit für Aufdeckung und gesellschaftskritische Wachsamkeit muss sein. Auch darf in der Pflege von scheinbar harmlosen Fanmeilen getrost etwas Gefährliches vermutet werden: ein getarntes Gewöhnungstraining für massiv zu besetzende Aufmarschgebiete andernorts.

Fazit: Fußball ist Maskerade. Günter Netzer, dieses festgeschraubte Antlitz in Reinkultur, hat es beizeiten gesagt: »Es gibt einige Mannschaften, die ihr Gesicht noch nicht gezeigt haben.«

Aber man geht fehl, wenn man den Fußball nur als Handlanger des Kapitalismus geißelt. Er ist ebenso ein Partisan des Fortschritts. Der Psychologe Stefan Grünewald vom Kölner Marktforschungsunternehmen »rheingold« fand nämlich Entscheidendes heraus: Eine unmittelbare Folge der WM 2006 sei das Erstarken der Linkspartei gewesen! Ein damals geradezu grassierendes Teamgefühl habe eine verstärkte Sensibilität der Deutschen hervorgerufen, und unser herzoffenes Volk zeigte sich darum sehr aufgeschlossen, als die Linke plötzlich kraftvoll zur Gerechtigkeitsdebatte anhub.

»Wir werden sehr gut fertig mit Doppelbelastungen«, hatte Klinsmann vor der WM rätselhaft gesagt, jetzt erst wissen wir, was er meinte: Seine US-amerikanischen Fitnesstrainer arbeiteten sowohl für das Ballack-Team als auch für Bisky. Damit dieser mit seinen Mannen beherzt gelenkig in die große Gerechtigkeitslücke springen und dort die oppositionellen Standardsituationen ausnutzen konnte. Der Bundestag als Strafraum, im Tor des Gegners der Sportfreund Merkel, der in Bayreuth und den schweißdampfenden Kabinen unserer Nationalelf seine Universitäten fand.

Was wird der LINKEN aber nun die gegenwärtige Europameisterschaft bringen? Immerhin, es kann nicht Zufall, es muss Fügung sein: Vierzehn Mannschaften tragen in der Nationalflagge die verkündigungsflammende Farbe Rot, nur Griechenland und Schweden nicht. Aber die schienen ja während des Spiels am Dienstag ihre Staatsbürgerschaften vereinigt zu haben: beide so austauschbar in frecher Blässe.

Löw nahm den kleinen tollen Wirbler Mirko Marin nicht zum Turnier mit, hat er dafür Gysi heimlich als nichtoffiziellen Mitarbeiter im Gepäck? »Bergtour« nennt der Bundestrainer die fußballerische Mission in den Alpen. Abgesehen davon, dass sich in den Aufstellungen für solch eine Kletterei bergsymbolisch ein Christian Ziege weit besser gemacht hätte als ein Philipp Lahm – der entsprechende Werbespot auf Gipfelhöhen offenbarte Löws tiefe Überzeugung von der lebensrettenden Kraft alter Seilschaften. Klasse! Außen ein Herr wie vom Autohaus, innen doch aber ein Wagenknecht – Mercedes-Stern tarnt roten Stern.

Ein Bayern-Spieler hat in Interviews ebenfalls klare Haltung bewiesen: »Ich hatte Schmerzen, aber zum Glück nicht links.« Oder: »Wenn wir Druck machen, sind wir immer auch stark. Wichtig ist nur, dass wir die Gemeinsamkeit ganz vorn anstellen.« Das ist angewandter Gramsci, und man muss sich nicht wundern, wenn die Berliner Parteizentrale demnächst nicht mehr Karl-Liebkecht-, sondern Bastian-Schweinsteiger-Haus heißt.

Nur die Schiedsrichter zögern. Wann bekennt sich der erste mit einer roten Karte als Parteiischer?

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