»Euch eure, mir meine Religion«

Glaube und Toleranz – Gedanken an der Milvischen Brücke

  • Ernst-Michael Schwarz
  • Lesedauer: 6 Min.

Es ist ein schöner Frühlingstag, als ich die Via Flaminia verlasse und mich entschließe, den Tiber über die Ponte Milvo zu queren, die Milvische Brücke. Diese Steinbogenbrücke ist seit Eröffnung der Brücke Flaminio im Jahre 1951 den Fußgängern vorbehalten.

Wahrscheinlich ist sie die berühmteste Brücke Europas. Noch heute gehen Besucher, die von Norden die Heilige Stadt betreten, über sie. Kaiser, Könige und Päpste haben sie überschritten, entweder um Kriege zu führen oder sich in Rom krönen zu lassen. Sie hat eine Statue des Kaisers Augustus getragen und war auf einer römischen Münze abgebildet. Heute gehört die Brücke den Verliebten, die als Zeichen ewiger Treue Vorhängeschlösser an eigens dafür installierten Pfeilern anbringen und die Schlüssel in den Tiber werfen.

Als ich an diesem Morgen auf der Brücke stehe, kommen mir ganz andere Gedanken. Das Wasser des Tibers umspült sanft die Steine in der Flussmitte, das Sonnenlicht spiegelt sich im Fluss, der im Hochsommer kaum mehr als ein Flüsschen sein wird. Jetzt hat er reichlich Wasser und ich fühle mich zurückversetzt in jene Zeit im Oktober 312 zu der für die europäische Geschichte so schicksalhaften Schlacht an diesem Ort.

Bei dem friedlichen Anblick kann ich mir kaum vorstellen, dass hier ein erbittertes Gemetzel um die Vorherrschaft Roms die faktische Geburtsstunde des Christentums als Staatsreligion war.

Politische Gewalt, Angst vor Machtverlust und ein riesiges Römisches Reich, das kurz vor dem Untergang stand, waren Pate und Ausgangspunkt dieser »Geburt«. Die damaligen Christen hatten gerade 300 Jahre schlimmster Verfolgungen, die beinahe zu ihrer vollständigen Vernichtung geführt hätten, hinter sich.

Das Jahr 311 muss hier besonders erwähnt werden. Auf seinem Sterbebett hatte Kaiser Galerius das erste Toleranzedikt herausgebracht. Es gewährte den Christen die freie Ausübung ihres Glaubens, solange dadurch die öffentliche Ordnung nicht gestört werde. In diesem Edikt von Nikomedia werden die Christen zwar auch beschimpft und verunglimpft, aber von nun an können sie relativ frei ihrer Religion nachgehen.

Bis zur Deklaration des Christentums als Staatsreligion im Jahre 391 war es noch ein weiter Weg. In dieser Zeit musste es gelingen, den Bürgern des Römischen Reiches klar zu machen, dass das Christentum von einer Gefahr für Rom zum Heilsbringer geworden war.

Nach dem Tod von Galerius im Jahre 311 trat Konstantin I. in die römische Tetrarchie ein; zusammen mit Maxentius, Maximinius und Licinius beherrschte er im Wesentlichen Gallien und Britannien. Da Maxentius und Konstantin Söhne von Kaisern waren, war es nur eine Frage der Zeit, dass es zur Auseinandersetzung über Erbansprüche kommen würde.

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Die römisch-katholische Kirche hat genau jene Idee, der sie ihre Entstehung verdankt, mit Terror, Inquisition, Blutopfern, Krieg und Schwert bekämpft.

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Zwei Dinge waren Konstantin dabei wohl klar: Wenn er alleiniger Herrscher des Westreiches würde, musste er etwas finden, dass die zerstrittenen Parteien unter seiner Herrschaft einte, und es musste etwas sein, dass auch von Licinius, dem Herrscher des Ostreiches, akzeptiert würde.

Konstantin wusste nur zu genau, dass sich die Christen von einer kleinen Sekte zu einer Macht zu entwickeln begannen, über die man nicht einfach hinweggehen konnte. Seit 310 war Miltiades Bischof von Rom und er hatte es bereits erreicht, dass ihm die unter Diokletian enteigneten Kirchengüter durch Maxentius zurückgegeben wurden. Wie also den Kult um den Sonnengott (Sol Invictus ) und das Christentum vereinen? Da hatten Konstantin und seine Berater eine geniale Idee – angeblich eine Vision – am Vorabend der Schlacht an der Milvischen Brücke. Der Tetrarch soll ein Kreuz aus Licht über der Sonne gesehen haben mit der Inschrift: »In hoc signo vinces« (In diesem Zeichen wirst du siegen).

In der Nacht vor der Schlacht sei ihm dann Jesus mit dem Zeichen erschienen und habe es ihm als Siegessymbol angewiesen. Auf die Schilde der Krieger wurde daraufhin – so die Legende weiter – das Labarum gezeichnet, ein mit Christogramm verziertes kreuzförmiges Vexillum. Verlauf und Ausgang der Schlacht sind bekannt: Maxentius kam in den Fluten des Tibers um, als er seinem Heer aus Rom mit der Prätorianergarde zu Hilfe eilen wollte. Konstantin war somit alleiniger Herrscher des weströmischen Reiches.

Konstantin schrieb seinen Sieg gegen die Übermacht des Maxentius dem Wirken des Christengottes zu; damit markierte der 28. Oktober 312 den endgültigen Übergang zu einer christenfreundlichen Politik Roms. Konstantin setzte die Politik seines Vorgängers in Bezug auf die Christen fort und übereignete Bischof Miltiades den Palast der Kaiserin Fausta als Residenz.

Der Kaiser war allerdings bis zu seinem Tode bemüht, die Kulte des Reiches unter ein Dach zu bringen. So gab es bis 325 Sol-Comes-Münzen und der Sonntagserlass von 321 enthält keinen Hinweis auf das Christentum. Aber auch das christliche Weihnachtsfest geht auf eine Intervention Konstantins zurück, die Verschmelzung mit der Sonnenwende des Sonnenkultes (25. Dezember).

Durch das Mailänder Toleranzedikt von 313 bekamen alle Religionen freie Glaubensentscheidung und freie Religionsausübung zugesichert. Diese Mailänder Vereinbarung war allerdings noch keine Gleichstellung des Christentums mit der römischen Staatsreligion. Es war eine Vereinbarung zur Machtsicherung der beiden römischen Herrscher Konstantin und Licinius. Beide waren zwar Despoten und Tyrannen, aber eines wussten sie genau: Wenn es nicht gelingt, den Menschen Religionsfreiheit zu geben, wird das Reich untergehen. Letzteres geschah dann trotzdem, eben weil der Toleranzgedanke sich nicht durchsetzen konnte. Die römisch-katholische Kirche hat genau jene Idee, der sie ihre Entstehung verdankt, mit Terror, Inquisition, Blutopfern, Krieg und Schwert bekämpft.

Wie sähe die Welt wohl heute aus, wenn jene Worte von Mailand Handlungsmaxime geblieben wären: »Nachdem wir beide, Kaiser Konstantin und Kaiser Licinius, durch glückliche Fügung bei Mailand zusammenkamen, um zum Wohle aller ... zu regeln ... sowohl den Christen als auch allen Menschen freie Vollmacht zu gewähren ... ihre Religion zu wählen ... damit die himmlische Gottheit uns und allen ... gnädig und gewogen bleiben kann.« (nach der Überlieferung von Lactantius Band 10, Kap. 5). Oder wie es im Koran heißt: »Euch eure Religion und mir meine Religion.« (Sure 109/6)

So viele Menschen haben die Milvische Brücke im Laufe der Jahrhunderte überquert: Christen und Juden, Muslime und Buddhisten, Agnostiker und Atheisten ... Sie alle dachten und denken, ihre Glauben oder Anschauungen würden meilenweit auseinander liegen. Kriege, Mord, Totschlag, Folter, Inquisition, Verfolgungen ... Rechtfertigen sie die eher kleinen, ideellen Unterschiede der Religionen, der Glaubensrichtungen?

Es stünde uns gut zu Gesicht, wenn wir angesichts der globalen Bedrohungen für diese unsere Welt etwas mehr Bescheidenheit an den Tag legen würden. Bewahren heißt Verstehen, heißt Akzeptanz des Anderen. Und das geht nicht ohne Toleranz. Zwei römische Kaiser hatten das vor langer Zeit immerhin begriffen.

Warum also streiten? Anstatt uns gegenseitig den Feuer- und Schwefelsee aus der Offenbarung des Johannes oder ähnliche Scheußlichkeiten anzudrohen, ziehen wir doch besser einen Strich und sagen: Wir glauben alle an einen Gott, wie immer wir ihn nennen, wir erkennen gegenseitig die Schriften der verschiedenen Religionen an als Grundlage dieses Glaubens, und ansonsten sind wir aufgefordert, die Schöpfung, unsere Erde vor dem Untergang zu bewahren, uns so zu verhalten, dass wir eines fernen Tages vor Gott treten können und gerade mal so an dem erwähnten unfreundlichen See vorbei schrammen oder gar auf Erlösung hoffen dürfen.

Als ich über die Milvische Brücke zurück nach Rom gehe, hat die alte Bezeichnung »Heilige Stadt« für mich eine ganz neue Bedeutung.

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