nd-aktuell.de / 12.07.2008 / Politik / Seite 4

Für wen hat Heidelberg Geld?

Edgar Wunder hofft auf Ja der Bürger zum Erhalt der Sozialwohnungen / Der Sozialwissenschaftler ist Sprecher des Bündnisses für den Emmertsgrund, das städtischen Wohnraum verteidigen will

ND: Heidelberg stimmt am Sonntag über den Erhalt seiner Sozialwohnungen im Emmertsgrund ab. Was für ein Stadtteil ist das?
Wunder: Der Emmertsgrund ist eine typische Trabantenstadt, allerdings landschaftlich schöner. Es ist der Stadtteil in Heidelberg mit der geringsten Wahlbeteiligung, den meisten Hartz IV-Betroffenen, dem höchsten Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund. Er gilt als sozialer Brennpunkt.

Warum sollen die Wohnungen verkauft werden?
Die Initiative geht von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GGH aus. Sie will die 610 Sozialwohnungen komplett abstoßen, um ihre Bilanz aufzubessern. Die GGH kommt ohne städtische Zuschüsse aus, sie macht jährlich einen Gewinn von 800 000 Euro. Den will sie aber noch steigern und deshalb sollen die Bestände verkauft werden, die am wenigsten Gewinn einbringen. Das zeigt, dass die Wohnungsbaugesellschaft fast wie ein privates, profitorientiertes Unternehmen agiert. Sie wird von der Stadt nur noch unzureichend kontrolliert.

Grundsätzlich hätte der Gemeinderat dem aber einen Riegel vorschieben können.
Der Gemeinderat hat sich ganz knapp dagegen entschieden, der GGH eine diesbezügliche Weisung zu erteilen. SPD und Bunte Linke waren gegen den Verkauf, CDU, FDP und Freie Wähler dafür, die Grünen sind gespalten.

Heidelberg geht es finanziell gut. Die Stadt will aber einen völlig neuen Stadtteil für Bessergestellte bauen. Dafür braucht sie Geld und das versucht man aus dem ärmsten Stadtteil rauszuziehen, in den bislang jedes Jahr bis zu zwei Millionen Euro investiert wurden.

Die 610 Wohnungen verursachen einen Verlust von 300 000 Euro im Jahr. Das ist jedoch ein vergleichsweise kleiner Betrag: Wir diskutieren in Heidelberg gerade über den Bau eines Tunnels durch die Altstadt, der 180 Millionen Euro kosten soll.

Was wissen Sie über die Firma, die die Wohnungen kaufen will?
Der Investor Dreges ist ein Phantom. Man erfährt wirklich absolut gar nichts. Er ist seit einem halben Jahr nicht mehr in der Stadt aufgetaucht. Man kann ihn nicht anrufen, ein Treffen mit der Bürgerinitiative wurde abgelehnt. Es ist vollkommen unklar, wer hinter der Firma steckt. In Berlin steht der Name Dreges an einem Briefkasten zusammen mit 21 weiteren GmbH. Das ist ein Dschungel von gegenseitigen Verweisungen. Der Investor will offensichtlich etwas geheim halten. Auf dieser Basis darf man keinen Verkauf vornehmen.

Sie betreten Neuland: Die Abstimmung am Sonntag wird der erste Bürgerentscheid in der Geschichte Heidelbergs sein. Welche Erfahrungen haben Sie mit der Mobilisierung gemacht?
Ich bin mir sicher, dass wir deutlich mehr Stimmen für den Erhalt bekommen werden. Nicht ganz sicher bin ich mir, ob wir das hohe Zustimmungsquorum von 25 Prozent schaffen werden. Nach einer Umfrage ist damit zu rechnen, dass mindestens zwei Drittel der Abstimmenden Ja ankreuzen. Wir brauchen also eine Wahlbeteiligung von etwa 40 Prozent. So viel wie durchschnittlich bei Kommunalwahlen! Das ist eine große Hürde. Denn es gibt auch Leute, die sagen, es betrifft ja nur einen Stadtteil und nicht mich.

Andererseits haben wir in den letzten Wochen eine enorme Solidarität erzeugen können. Der Bürgerentscheid hat schon jetzt, unabhängig vom Ausgang, viel verändert. So haben sich die Grünen gespalten. Und viele Bürger wissen: Geht der Verkauf durch, dann weckt das Begehrlichkeiten beim nächsten Großprojekt.

Fragen: Ines Wallrodt