Langer Weg zum Mindestlohn

Neuer Koalitionsstreit um die Zeitarbeitsbranche zeichnet sich ab

  • Ina Beyer
  • Lesedauer: 3 Min.
Neuer Knatsch der Koalitionspartner beim Mindestlohn kündigt sich bei der Zeitarbeitsbranche an. Die CDU will diesen noch verhindern.

Die Zeitarbeit ist eine der acht Branchen, die sich für eine Aufnahme in das neu gefasste Arbeitnehmerentsendegesetz beworben hat, das diese Woche vom Kabinett beschlossen wurde. Eine von der Regierung eingesetzte Arbeitsgruppe muss jetzt prüfen, ob die angemeldeten Branchen die Voraussetzungen dazu erfüllen. Das Besondere bei der Zeitarbeit: Hier liegen zwei Tarifverträge vor, die jeweils beanspruchen, als allgemein verbindlich erklärt zu werden. Zwei der großen Arbeitgeberverbände, IGZ und BZA, haben mit dem DGB einen Mindestlohn von 7,31 Euro (West) beziehungsweise 6,36 Euro (Ost) vereinbart. Der dritte Verband AMP dagegen hat mit einer christlichen Gewerkschaft Lohnuntergrenzen von 7,21 Euro im Westen und 6,00 Euro im Osten ausgehandelt.

Was passiert, wenn in einer Branche zwei konkurrierende Tarifverträge existieren, hatte Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) bei der Ausarbeitung der Gesetzesnovelle bis zuletzt beschäftigt, denn die Union will mit aller Kraft verhindern, dass der DGB das Lohndiktat vorgibt. Sie sieht tausende Leiharbeitsjobs in Gefahr. In der Neufassung des Gesetzes heißt es nun: »Liegen für mehrere Tarifverträge Anträge auf Allgemeinverbindlicherklärung vor, hat der Verordnungsgeber mit besonderer Sorgfalt die von einer Auswahlentscheidung betroffenen Güter von Verfassungsrang abzuwägen und die widerstreitenden Grundrechtsinteressen zu einem schonenden Ausgleich zu bringen.« Ein vage gehaltener Satz, von dem der DGB denkt, dass Kompromisse bei den Lohnhöhen gemeint sind, sprich: die DGB-Mindestlöhne durch die Hintertür unterlaufen werden könnten.

Den kritischen Nachfragen von Journalisten bei der Vorstellung der Gesetzesnovelle am Mittwoch in Berlin, was die Regelung konkret für die Zeitarbeit bedeute, hatte der Arbeitsminister wenig Konkretes entgegenzusetzen. Im Ernstfall, so äußerte er, werde man immer genau wissen, wie zu entscheiden ist. Geprüft werde nach dem neuen Gesetz schließlich auch die Repräsentativität der Verträge und die Mitgliederstärke der sie abschließenden Arbeitnehmerorganisationen. »Willfährigen Gewerkschaften« werde so das Handwerk gelegt.

Der Ernstfall zeichnet sich nun ab. Die Union bekräftigte am Donnerstag ihre ablehnende Haltung, die Zeitarbeitsbranche in das Entsendegesetz aufzunehmen. Der BZA (Bundesverband Zeitarbeit) pocht jedoch darauf. »Es gibt jetzt keinen sachlichen Grund mehr, einen Mindestlohn in der Zeitarbeitsbranche zu verhindern«, sagte BZA-Manager Ludger Hinsen dem Berliner »Tagesspiegel«. Mit dem Kabinettsbeschluss hätten sich trotz der konkurrierenden Tarifverträge die Chancen für eine Aufnahme »deutlich verbessert«. Der CDU-Mittelstandspolitiker Michael Fuchs sagte dem Blatt dagegen: »Mit uns wird es keinen Mindestlohn in der Zeitarbeitsbranche geben« und weiter, »da wird sich die SPD die Zähne an uns ausbeißen«.

Und auch Minister Glos äußerte den Medien gegenüber noch einmal, wer bereits einen Tarifvertrag habe, werde sich »auch in Zukunft vor Branchen-Mindestlöhnen schützen können.« Ihm sei es darum gegangen, »dass Tarifverträge kleinerer Gewerkschaften nicht automatisch verdrängt werden. Ein Fall wie die Post darf sich nicht wiederholen«.

Gerade aber dieser Fall lässt sich mit dem jetzigen Streit gut vergleichen. Monatelang hatte die Koalition darum gerungen, ob der Mindestlohn von Post AG und ver.di als allgemein verbindlich erklärt werden dürfe. Der Arbeitgeberverband Neue Brief- und Zustelldienste hatte in Konkurrenz eigens eine Gewerkschaft gründen lassen, mit der weit niedrigere Untergrenzen vereinbart worden waren. Am Ende siegte die SPD, die CDU musste ihre Blockadehaltung aufgeben und der höhere Lohn kam. Damit kam aber auch die große Entlassungswelle beim Postdienstleister PIN, auf den sich die CDU nun berufen kann.

Nun sieht es so aus, als wiederhole sich das Zerrspiel von Ende 2007. Bis der Mindestlohn für die 1,57 Millionen Beschäftigten, die insgesamt in den angemeldeten Branchen arbeiten, tatsächlich kommt, dürfte es damit noch lange dauern.

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