Himbeereis mit Sägespänen

Weltweit erstes Zusatzstoffmuseum in Hamburg klärt Verbraucher auf

  • Susann Witt-Stahl
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Hamburger Lebensmittelstiftung will mit einem bisher einmaligen Projekt über die Problematik des Einsatzes von Zusatzstoffen aufklären. Dabei kommen auch beunruhigende Gesetzeslücken zum Vorschein.
Joghurtregal im Zusatzstoffemuseum in Hamburg
Joghurtregal im Zusatzstoffemuseum in Hamburg

Substanzen, deren Behälter mit einem Totenkopf-Symbol gekennzeichnet sind, vermutet der Verbraucher im Giftschrank des Kammerjägers. Sie sind aber auch häufig als Zusatzstoff in Lebensmitteln enthalten. Das gilt beispielsweise für Natriumnitrit, das zur Umrötung von Wurstwaren verwendet wird und im Magen in Krebs erzeugende Nitrosamine umgewandelt werden kann.

Unter den Sammelbegriff »Zusatzstoffe« fallen Geschmacksverstärker, Antioxidationsmittel, Enzyme, Trenn- und Verdickungsmittel, Wachse, Farb-, Süß-, Füll- und viele andere Stoffe. Welche Wirkung haben sie? Welche Zusätze sind bedenklich? Oftmals tappt der Verbraucher im Dunkeln. Das Deutsche Zusatzstoffmuseum soll intensive Aufklärung leisten und den Dschunge der geheimnisvollen Substanzen und ihrer nichtssagenden Bezeichnungen erschließen. Das von den Lebensmittelchemikern Georg Schwedt und Udo Pollmer mitentwickelte Projekt öffnete Ende Mai auf dem Gelände des Hamburger Großmarkts seine Pforten. Es ist das weltweit einzige Museum dieser Art.

Der Besucher schlendert durch eine Supermarkt-Kulisse, in der Attrappen von Lebensmitteln aller Segmente, beispielsweise Kühlprodukte, Backwaren und Getränke, vorhanden sind. »Für repräsentative Produkte der einzelnen Bereiche haben wir typische Zusatzstoffe herausgegriffen und erläutern jedes Detail ihrer Herkunft, Funktion und Wirkung«, erklärt Friederike Ahlers, Leiterin und Vorstand der Hamburger Lebensmittelstiftung, die Träger des Museums ist. Während des Rundgangs erfährt der Verbraucher allerlei Erstaunliches, Hilfreiches oder auch Ärgerliches: Selbst in Bioprodukten sind Zusatzstoffe erlaubt. Und wer ein Himbeer-Eis kauft, das laut Packungsangabe »natürliche Aromen« enthält, kann nicht unbedingt davon ausgehen, dass tatsächlich Früchte enthalten sind. Oft sind Sägespäne die Lieferanten des »Himbeer-Aromas«.

An einem Versuchstisch können Besucher eigenhändig ein Bananen-Aroma zusammenmischen. Dabei entsteht ein aufdringlicher, stechender Geruch. »Ein Hinweis, dass viele Lebensmittel überaromatisiert sind«, erläutert Friederike Ahlers. »Bei häufigem Genuss wird der Geschmack des echten Aromas von natürlichen Lebensmitteln verdorben.« Es lohnt sich auch, E-Nummern in den ausliegenden Listen nachzuschlagen. Dahinter verbergen sich nicht selten unappetitliche Zusätze wie Wollwachs (E 913), ein Sekret der Talgdrüsen des Schafes, das in Kaugummis enthalten sein kann. Zwar sind die meisten Zusatzstoffe unbedenklich. Aber manchmal werden hinter harmlos klingenden Tarnbegriffen wie »Gewürze« auch gesundheitsgefährdende Stoffe versteckt. Das gilt beispielsweise für Mononatriumglutamat, das oft als »Hefeextrakt« oder »fermentierter Weizen« deklariert wird. Der Geschmacksverstärker kann das sogenannte China-Restaurant-Syndrom auslösen: Schläfendruck, Kopfschmerzen, Nackensteife.

Zusatzstoffe müssen nicht ausgewiesen werden, wenn sie keine technologische Funktion mehr ausüben. Das heißt, ein Joghurt, dessen enthaltene Fruchtzubereitung mit Konservierungsmitteln haltbar gemacht wird, darf die Aufschrift »ohne Zusatz von Konservierungsstoffen« tragen, wenn die Dosis so gering ist, dass sie nur reicht, um die Früchte, nicht aber den kompletten Joghurt zu konservieren. Beim Großteil unverpackter Ware und bei geringen Mengen müssen Zusatzstoffe gar nicht ausgewiesen werden. Das sind Gesetzeslücken, die es den Herstellern leicht machten, den Verbraucher zu täuschen, bedauert Museumsleiterin Ahlers: »So können sie ungehindert ihre Clean-Label-Strategie fahren: Auf dem Etikett nicht nichts drauf, aber in den Lebensmitteln viel drin.«

www.zusatzstoffmuseum.de

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