Mit zweierlei Maß – Parteiausschlüsse in der SPD

Disziplinierung ist kein Fremdwort in »Volksparteien« – heute: »Münte« kündigte Parteiverfahren persönlich an

  • Heiner Halberstadt
  • Lesedauer: 4 Min.

1959 fand in Frankfurt am Main ein SDS-Kongress statt. Das Thema: »Für Demokratie – gegen Restauration und Militarismus«. (Der Sozialistische Deutsche Studentenbund war damals die SPD-Studentenorganisation). Auf diesem Kongress wurde ein Antrag verabschiedet, der die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und einen rationalen Umgang mit der DDR, den Beginn eines Ausstiegs aus dem Kalten Krieg forderte.

Der SPD-Parteivorstand beschloss jedoch die Unvereinbarkeit der Antrags-Positionen mit einer Mitgliedschaft in der SPD. Er verweigerte jegliche Diskussion über das Thema und forderte die SDS-Mitglieder auf, sich von der Entschließung schriftlich zu distanzieren. Dem folgte allerdings nur eine Minderheit. Zunächst stellte der Parteivorstand jede weitere finanzielle Förderung des SDS ein. Es gründete sich aber eine »Fördergesellschaft«, die mit Mitgliedsbeiträgen eine Weiterarbeit des SDS ermöglichte.

Anfang November 1961 setzte dann der Parteivorstand einen »Unvereinbarkeitsbeschluss« in Kraft und schloss die Mitgliedschaft in der »Fördergesellschaft« darin gleich mit ein. Neben den erfassbaren SDS-Mitgliedern wurden so als »SDS-Förderer« auf einen Schlag Wolfgang Abendroth, Helga Einsele, Heinz-Joachim Heydorn, Helmut Gollwitzer, Heinrich Hannover, Walter Fabian, Oskar Negt, Jürgen Seifert, Heinz Brakemeier und viele andere aus der SPD ausgeschlossen, unter ihnen auch ich.

Mir wurde vom Unterbezirk Frankfurt am Main lapidar mitgeteilt: »Herr Halberstadt. Sie haben gegenüber dem Frankfurter Parteivorsitzenden Walter Möller erklärt, dass Sie in der Fördergesellschaft für den SDS verbleiben. Damit sind Sie ab sofort aus der SPD ausgeschlossen. Ich teile Ihnen zudem mit, dass Ihr Parteibuch Eigentum der Partei ist. Sie haben es bis kommenden Samstag 12.00 im Parteibüro in der Fischerfeldstraße abzuliefern.« Das Parteibuch habe ich noch heute. Darin ist mein Eintrittsdatum in die SPD verzeichnet: 10. Januar 1946.

Zugleich wurde mir als Geschäftsführer des »Vereins Haus der offenen Tür« fristlos gekündigt. Kündigungsbegründung: Aktive Mitarbeit beim »Ostermarsch«. Außerdem tauchte zu dieser Zeit mein Name in Veröffentlichungen des von Rainer Barzel geführten Komitees »Rettet die Freiheit« auf. In einer Flugschrift wurde gar behaupt, Frankfurt sei durch mich eine »Drehscheibe kommunistischer Unterwanderung« geworden. Dabei befand ich mich mit dem damaligen DGB-Vorsitzenden Philipp Pless, dem SPD-Vorsitzenden Georg Stierle und Pastor Niemöller in guter Gesellschaft, denn gegen die wurden von Barzel ähnliche Vorwürfe erhoben. Aber da ich zu diesem Zeitpunkt wegen der SDS-Geschichte kein SPD-Mitglied mehr war, erhielt ich von dieser Seite her auch keine Unterstützung.

Jahre später traf ich mit Willy Brandt zu einem persönlichen Gespräch zusammen. Ich erinnerte ihn an den Unvereinbarkeitsbeschluss. »Ja«, sagte Brandt, »das war damals eine ganz dumme Sache«. Die habe der SPD sehr geschadet. Er selbst habe sich bei der Beschlussfassung, die hauptsächlich von Herbert Wehner forciert worden sei, bedauerlicherweise zurückgehalten. Unter Hinweis auf die Entspannungspolitik, die den Kurs der Partei jetzt bestimmte, lud Brandt mich ein, wieder Mitglied zu werden. Dem habe ich entsprochen. 1988 wurde ich wieder in die SPD aufgenommen. Am 31. 05. 1988 hob der Vorstand auf Brandts Betreiben hin den »Unvereinbarkeitsbeschluss« gegen den SDS und seine Förderer auf.

1995 setzte ich dann meinen Namen unter einen in der SPD intern verteilten Aufruf (Autor Diether Dehm), in dem von der SPD gefordert wurde, sich gegen die Ausplünderung der ehemaligen DDR zu wenden und soziale Integrationshilfen für die Bevölkerung in Ostdeutschland zu unterstützen. Ferner wandte sich der Aufruf gegen jegliche Zustimmung zu der sich fortdauernd verstärkenden Militarisierung der deutschen Außenpolitik.

Ich unterlag dem Irrtum, dass in der SPD nunmehr eine politische Einflussnahme auf ihre Politik möglich sei – also »politische Streitkultur« auch bei kontroversen Positionen. Ein an mich persönlich gerichtetes Schreiben des damaligen SPD-Generalsekretärs Franz Müntefering belehrte mich eines Schlechteren. Wenn ich nicht sogleich meine Unterschrift unter den Aufruf zurücknähme, so »Münte«, dessen Unterschrift etwa ein Drittel des Schreibens ausfüllte, dann würde sogleich ein Parteiordnungsverfahren mit dem Ziel des Ausschlusses aus der SPD gegen mich eingeleitet.

Die Anklage vor der Schiedskommission vertrat namens des Frankfurter Parteivorstandes der frühere linke Hoffnungsträger in der Frankfurter Partei Klaus-Dieter Storck. Die Schiedskommission erklärte den Ausschlussantrag von seiner Grundlage her für null und nichtig. Daraufhin beschloss der Frankfurter SPD-Vorstand, die Bezirks-Schiedskommission anzurufen. Ich meinerseits beschloss meinen Austritt aus der SPD.

1998 bin ich dann in die PDS eingetreten, um dem demokratischen Sozialismus wieder näher zu kommen. Leute wie Wolfgang Clement werden dagegen weiter kämpfen, um die SPD in eine neoliberale Partei umzumontieren. Sind das die Verdienste, die nicht nur Kurt Beck, Steinmeier und Müntefering Clement zurechnen? Dann muss er folgerichtig auch in dieser neuen SPD verbleiben. Und immerhin – die FDP könnte dadurch endlich überflüssig werden.

Heiner Halberstadt ist gelegentlicher Autor des ND. Im Mai feierte er seinen 80. Geburtstag.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal