Die komische Tour im Speckgürtel

Satiriker Sonneborn lief einmal um Berlin herum und machte einen Film daraus

Man könne sich komische Sachen zwar ausdenken, komischer sei jedoch oft, was ganz normale Bürger von sich geben, wenn man ihnen nur die Gelegenheit dazu biete, meint Martin Sonneborn. Rund um Berlin ist der einstige Chefredakteur des Satiremagazins »Titanic« gewandert. Mal lief er nach Berlin hinein, meistens außen drum herum. Einige skurrile Typen hat er dabei getroffen und daraus den Film »Heimatkunde« gemacht. Am Donnerstag ist der 90 Minuten lange Streifen erstmals in Berlin zu sehen – im Kino Babylon. Martin Sonneborn stellt sich nach der Vorführung der Diskussion.

Für den Zuschauer ist nicht klar ersichtlich, was »Heimatkunde« eigentlich sein will, ein schräges Lustspiel aus dem Stegreif oder ein Dokumentarfilm. Mal veralbert Sonneborn die Leute offen, mal wirkt er ehrlich interessiert an ihrer Geschichte.

Der Zuschauer darf lachen bei diesem Film, aber auch peinlich berührt sein. Der erste Ostdeutsche, dem Sonneborn begegnet, liegt nackt auf einer verfallenen Brücke und sonnt sich. Dafür gelingt es dem Humoristen nicht, in einer neu errichteten Eigenheimsiedlung von Großbeeren auch nur eine einzige ostdeutsche Familie zu finden. In Stahnsdorf knöpft Sonneborn sich den inzwischen in den Ruhestand getretenen CDU-Bürgermeister Gerhard Enser vor. Spielen ist an einem Gedenkstein für die Opfer des Faschismus nicht erlaubt. Das wäre nicht angemessen. Allerdings ist der Stein umstellt von vier neuen Hunde-WCs!

In einem Marzahner Hochhaus schaut sich Sonneborn eine Modelleisenbahn an. Einen Plattenbau gibt es in der Miniaturanlage nicht. Das würde nicht in die Modelllandschaft passen, glaubt der Bastler. Sonneborn kommentiert das nicht. Was er mit der Szene unterstellen möchte, ist aber klar. Zwei junge Mädchen sagen ihm, dass die DDR gut war. In der Schule lernten sie das nicht, aber die Väter haben es ihnen erzählt.

Einer Bewohnerin der Wagenburg in Karow wirft Sonneborn Spießigkeit vor, weil sie sich eine Spülmaschine wünscht. Die Frau kontert geschickt mit der Frage, was daran spießig sei, wenn man zu faul zum Abwaschen ist.

In Potsdam nutzt er die mangelhaften Deutsch-Kenntnisse eines Chinesen dazu aus, ihm die Formulierung unterzujubeln, China werde Deutschland »platt machen«. Er träumt vom Wiederaufbau der Berliner Mauer als Kopie der Chinesischen Mauer. Aber da sind wir wieder am Anfang. Die Wirklichkeit ist viel komischer als das Ausgedachte. Eine Reinickendorfer Siedlung schirmte sich mit einem Zaun gegen die Brandenburger Nachbarn ab, nachdem die Mauer gefallen war.

»Heimatkunde«, Do., 21.15 Uhr, Kino Babylon in Berlin-Mitte, Rosa-Luxemburg-Straße 30, Karten-Tel.: 242 59 69, Eintritt: 6,50 Euro

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