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Rabattmedizin mit Risiken

Gewinnstreben von Firmen und Kassen gefährdet die Patienten

  • Gabriel B. Gruner
  • Lesedauer: 3 Min.
Für 43 Prozent aller im Juni 2008 von Apotheken an gesetzlich Krankenversicherte ausgegebenen Arzneimittel gewährten Pharmafirmen den Kassen als Gegenleistung für exklusive Belieferung ihrer Mitglieder bis zu 37 Prozent Rabatt auf den offiziellen Abgabepreis. Und die Patienten waren zumeist von der Zuzahlung befreit. Diese Rabattverträge scheinen nur Gewinner zu kennen. Doch Ärzte und Patientenverbände warnen vor ernsten Risiken und Nebenwirkungen.

Seit April 2007 bestimmen immer häufiger nicht mehr Ärzte, welches Präparat Patienten erhalten, die gesetzlich versichert sind, sondern Kassenvorstände. Denn durch zwei »Reformgesetze« der Großen Koalition erhielten Krankenkassen die Vollmacht, Pharmafirmen das Monopol der Versorgung ihrer Mitglieder mit bestimmten Arzneimitteln oder gar ihrem gesamten Sortiment zuzuschanzen. Hat die jeweilige Kasse für den vom Arzt verordneten Wirkstoff einen Rabattvertrag abgeschlossen, darf der Apotheker nur das Präparat der betreffenden Firma abgeben. Zwar kann der Arzt nach wie vor durch ein Kreuz auf dem Rezept ein anderes Präparat verordnen, doch riskiert er, dafür finanziell haftbar gemacht zu werden.

Erklärtes Ziel der Rabattverträge ist, hunderte Millionen Euro einzusparen. Doch ob diese gute Absicht Realität wird, liegt im Dunkeln. Denn die Konditionen dieser Abmachungen werden strikt geheim- gehalten. Transparency International Deutschland beklagt daher einen »Zuwachs an korruptionsfördernder Intransparenz«. Arzneimittelexperten vermuten sogar, dass zuweilen Konkurrenzpräparate anderer Hersteller ohne Rabatt günstiger wären. Dafür spricht, dass trotz des immer höheren Anteils der »Rabattmedikamente« die Arzneimittelausgaben weiter rasch steigen.

Gefährlicher sind aber andere Risiken und Nebenwirkungen. Als erste warnten im Frühjahr Schmerzmediziner und die Patientenorganisation Deutsche Schmerzliga vor dem Präparateaustausch durch Anordnung der Kassen. Denn auch bei identischem Wirkstoff und gleicher Dosierung wirken Schmerzmedikamente verschiedener Hersteller durchaus unterschiedlich. So ist aufgrund der verwendeten Hilfs-stoffe und Verfahren der Zeitpunkt nach Einnahme, zu dem die volle Wirkung eintritt, oft sehr unterschiedlich. In einer Umfrage der Schmerzliga gaben fast zwei Drittel der von Umstellung auf »Rabattmedikamente« betroffenen chronischen Schmerzpatienten an, dass dies »zu erheblichen Verschlechterungen ihres Zustands« geführt hat. Eine wissenschaftliche Untersuchung zur Umstellung stark wirksamer Opioide ergab bei 85 Prozent der zuvor gut eingestellten 424 Patienten eine signifikante Schmerzzunahme. Die rund 2000 Teilnehmer des Schmerztags in Frankfurt am Main forderten deshalb, dass Opioide der Stufe III keiner Austauschpflicht aus ökonomischen Gründen unterliegen dürfen.

Auch die Deutsche Herzstiftung forderte kürzlich, aus medizinischen Gründen, die aufgrund der Rabattverträge bei vielen Patienten eingetretene Situation fortwährenden Präparatewechsels zu beenden und es allen Herzkranken zu ermöglichen, bei ihrem bewährten Präparat zu bleiben.

Der Pharmakologe Prof. Dr. Thomas Eschenhagen verwies darauf, dass die gesetzlich vorgeschriebene Überprüfung der Gleichwertigkeit (Bioäquivalenz) eines Generikums nur auf das jeweilige Originalpräparat bezogen wird. Abweichungen der Generika untereinander würden dabei nicht untersucht. Sie könnten zum Teil erheblich sein und mitunter sogar zum Gesundheitsrisiko werden.


Rabattverträge

Die 2006 mit dem Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz eingeführten Rabattverträge werden zwischen gesetzlichen Krankenkassen oder deren Dachverbänden mit Pharmafirmen abgeschlossen. Sie gewähren den Kassen Rabatte, wenn die sich verpflichten, ihre Mitglieder, abgesehen von engen Ausnahmen, nur mit den vereinbarten Medikamenten der Firma zu versorgen. Die Apotheker sind verpflichtet, auf Rezept nur dieses Medikament abzugeben, falls der Arzt nicht ausdrücklich auf einem anderen Präparat besteht. Bis heute ist unklar, ob und wie sich das negativ auf ihre Honorierung durch die jeweilige Kasse auswirkt. Beharrt der Patient ohne Billigung seines Arztes auf seinem gewohnten Medikament, muss er dessen Preis voll selbst bezahlen.
GBG

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