Im toten Winkel

Seit 15 Jahren lebt Sofia mit ihren Kindern in Deutschland – und findet wie viele andere Roma keine Sicherheit

  • Birgit Schmidt
  • Lesedauer: 8 Min.
Post vom Amt.
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»So langsam macht mich das psychisch fertig. Wenn du immer nur für die nächsten Monate lebst und nicht weißt, ob du eine Zukunft hast ...« Sofia (der Name wurde geändert) stellt zwei Tassen auf den Tisch und schenkt Kaffee ein, türkischen Mokka, wie sie ihn mag und wie man ihn in ihrer Heimat trinkt. Eine Heimat, die als Staat nicht mehr existiert.

Als Sofia vor 15 Jahren mit Mann und Kind nach Deutschland floh, weil es immer wieder zu Übergriffen gegen Roma kam und die Familie um ihre Sicherheit fürchten musste, hieß ihr Herkunftsland noch Jugoslawien und befand sich im Bürgerkrieg. Aus der jugoslawischen Staatsbürgerin wurde eine in der BRD geduldete Serbin. »Weil es immer noch und immer wieder gegen die Roma ging, konnten wir nicht zurück. Wir erhielten eine Duldung«, erzählt sie und stopft sich eine Zigarette. »Doch dann wurde es unmöglich mit meinem Mann.« Mehrmals flüchtete Sofia mit ihren Kindern – heute 16, 12 und 7 Jahre alt – in ein Frauenhaus. »Schließlich habe ich die Trennung geschafft.« Heute lebt sie als Alleinerziehende mit ihren Kindern in einer Wohnung in Berlin und genießt, »dass es endlich ruhig ist. Und die Kinder gehen zur Schule und lernen.«

Warten im Halbjahres-Takt
Damit das so sein kann – die beiden jüngeren Kinder sind ja in der BRD geboren –, hat Sofia nach jahrelanger Duldung eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen bekommen. Das sieht Paragraf 25, Absatz 4 des Aufenthaltsgesetzes vor. Nach langen Kämpfen wurde ihr endlich auch eine Arbeitserlaubnis zugestanden.

Alles super also, oder? »Nein, ist es nicht!« Sofia schüttelt energisch den Kopf. »Ich bekomme seit Jahren immer nur einen Aufenthalt für die nächsten sechs Monate. ›Damit Ihre Kinder zur Schule gehen können‹, sagen sie. Aber was soll das? Der Kleine ist erst sieben, geht also noch mindestens neun Jahre zur Schule. Wollen sie uns dann zurückschicken? Wohin? In Serbien lebt nur noch meine Tante. Sonst kennen wir da niemanden mehr und könnten nirgendwo wohnen. Und Arbeit gibt es erst recht keine.«

Die Familie nach Serbien zu schicken, wäre tatsächlich absurd, denn alle drei Kinder verstehen die serbische Sprache zwar noch, Serbisch zu sprechen aber fällt ihnen schwer. Ihre Sprache ist Deutsch. Die beiden Jüngeren haben Serbien im Übrigen noch nie gesehen, der Älteste war damals ein Säugling.

Zur Zeit jobbt Sofia bei einer international bekannten Imbisskette. »Es gibt Aufstiegsmöglichkeiten. Ich möchte auch versuchen, etwas besseres zu finden. Am liebsten würde ich noch eine Ausbildung machen. Aber immer muss ich meine Aufenthaltserlaubnis vorlegen, und wenn die sehen, dass ich nur noch wenige Monate habe, kann ich gleich wieder gehen.«

Aus dem Status 25.4 können Ausländer theoretisch in eine bessere Aufenthaltskategorie aufsteigen. Das allerdings setzt dreierlei voraus: Es dürfen keine Ausweisungsgründe vorliegen, der Lebensunterhalt muss selbstständig gesichert werden und man muss die Passpflicht erfüllen.

Worauf Sofia Einfluss hat, das schafft sie spielend. Ein Ausweisungsgrund liegt nicht vor, die Prüfung des inzwischen obligatorisch gewordenen Integrationskurses hat sie mit der Note 1 bestanden. Schwierig wird es mit der eigenständigen Sicherung des Lebensunterhalts. Wer Burger verkauft in diesem Land, verdient nicht genug, damit es zum Leben reicht. Kindergeld bekommt man mit Paragraf 25.4 nicht, »und mein Ex-Mann hat eine Erklärung unterschrieben, dass er nichts bezahlen kann, also kriege ich für die Kinder auch keinen Unterhalt«.

Kein Status – kein Job, kein Job – kein Status
Damit ist der Teufelskreis in Gang gesetzt: Sofia findet keinen einigermaßen akzeptablen Job, weil die Aufenthaltserlaubnis das nicht hergibt. Und sie bekommt keinen besseren Status, weil das Jobcenter ihren Lohn aufstocken muss. Dazu kommen immer wieder Vorbehalte mancher Arbeitgeber, denn Sofia gibt in der Bewerbung grundsätzlich an, dass sie drei Sprachen spricht: Deutsch, Serbisch und Romanes, die Roma-Sprache.

Wie kommt man aus solch einem Kreislauf raus? Und wie kommt man an einen Pass, wenn der alte abgelaufen ist? Denn einen gültigen Pass, den muss sie haben, das ist Anforderung Nummer drei. Sofia zündet sich noch eine Zigarette an. »Um einen serbischen Pass verlängert zu bekommen, muss man in Serbien gemeldet sein«, erklärt sie. »Ich lebe aber hier. Und hier, in der BRD, einen serbischen Pass verlängern zu lassen, das geht zur Zeit nicht. Dafür ist mit dem neuen Staat Serbien alles zu ungewiss, zu sehr im Fluss.«

Das ist richtig. Erst im Februar dieses Jahres proklamierte die bis zu diesem Zeitpunkt zu Serbien gehörende Republik Kosovo ihre Unabhängigkeit, im Mai 2006 hatte sich Montenegro vom Staat Serbien-Montenegro abgespalten, und die Wahlen im Mai 2008 brachten eine dünne Mehrheit für den bisherigen Ministerpräsidenten Boris Tadic, der seinerseits die Abspaltung Kosovos nicht akzeptiert. Sofia stammt aus der Gegend um Belgrad, trotzdem befürchtet sie, dass ihr das niemand innerhalb der BRD in den Pass ihres jüngsten Sohnes stempeln wird, der demnächst abläuft, und dass sie eigens für den Pass nach Belgrad fahren und für die Reise Geld ausgeben muss, das sie nicht hat.

Man merkt Sofia an, dass sie mit den Nerven am Ende ist, weil sie sich seit Jahren wie ein Hamster im Laufrad abstrampelt, ohne von der Stelle zu kommen. Seit 15 Jahren will sie ankommen, irgendwie. Arbeiten gehen und genügend Geld verdienen. Eine Ausbildung machen. Will, dass ihre Ängste sich nicht auf die Kinder übertragen: »Die haben es so schon schwer genug! Trotzdem sind sie richtig gut in der Schule.« Sie haben, wie Sofia, noch nie Urlaub gemacht, sind noch nie aus Berlin herausgekommen. Und waren noch nie an einem Strand. Es gibt ein Ferienprogramm für Kinder, die in der Stadt bleiben müssen. »Das kann ich mir aber nicht leisten. Dann müsste ich drei Monatskarten kaufen. Dabei spare ich jetzt schon für das neue Schuljahr im September.«

Zu allem kommt noch, dass Sofia auch von der Seite mancher Roma ein kalter Wind ins Gesicht bläst. »Meine Familie hat nicht akzeptiert, dass ich mich von meinem Mann getrennt habe«, sagt sie und zieht nervös an der Zigarette. »Das ist bei uns so. Sie rufen mich immer noch an und sagen Sachen.«

Eine Beratungsstelle, an die sie sich wenden könnte, wo man ihre Probleme versteht, wo man ihr psychologisch unter die Arme greifen könnte, gibt es für Sofia nicht. Roma stellen, seit Bulgarien und Rumänien zur Europäischen Union gehören, die größte Minderheit Europas. In Deutschland leben, abgesehen von den Flüchtlingen, noch einmal rund 70 000 Sinti und Roma mit deutschem Pass. Man hat es aber noch nicht für nötig befunden, sich mit ihnen und mit der Lage zu beschäftigen, in der zu leben viele gezwungen sind.

Erst recht nicht interessiert man sich für die Lage der Mädchen und Frauen, die von den negativen Begleitumständen dessen geprägt ist, was oft unter »Das ist nun mal ihre Kultur« subsumiert wird. Oder unter dem Begriff Tradition, zu der etwa gehört, dass Frauen sehr jung heiraten und sehr einsam werden können, wenn sie aus Ehe und Familienverband ausscheren.

Auf tieferes Verständnis trifft Sofia auch nicht bei der Ausländerbehörde, wo man ihr seit Jahr und Tag die nächsten sechs Monate in den Pass stempelt, der entsprechend schnell voll wird. Dann braucht sie einen neuen – Teufelskreis Nummer zwei.

Neulich sprach die ehemalige Berliner Ausländerbeauftragte, Barbara John, mit dem Radiosender Multikulti über den aktuellen Zuzug mehrerer Gruppen von Roma aus Rumänien und der Slowakei nach Berlin. Angesichts der offensichtlich sehr armen und gesundheitlich angeschlagenen Menschen, die mit Autowaschen und Betteln versuchen, an etwas Geld zu kommen, empfahl sie, Herzen und Brieftaschen zu öffnen.

Zigeunerin – da gibt es keine Missverständnisse
Die Realität auf den Straßen sieht bekanntlich anders aus. Besonders fatal ist die Lage jedoch ausgerechnet für diejenigen, die nicht im Blick der Öffentlichkeit stehen, hat das Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung festgestellt – weil sie zwar Roma sind, aber nicht als solche wahrgenommen werden. Während Medien und manche Behördenmitarbeiter Problemgruppen innerhalb der Minderheit als typisch für alle Roma wahrnähmen, heißt es in einer Studie von 2007, »bleiben die bereits teilweise integrierten Roma-Flüchtlinge im toten Winkel, weil sie keine Zielgruppe lokaler Entscheidungen und Maßnahmen sind«. Dazu gehörten jene, die nicht auf Wohlfahrtsverbände, Sozialdienste oder Roma-Organisationen angewiesen sind und die nicht in Konflikt mit den Behörden kommen, beziehungsweise keine Berührungspunkte mit Jugendamt oder Jugendhilfe haben. »Es sind all jene Roma, die in den Aufnahmekommunen eine Normalität zu erlangen versuchen, trotz der eingeschränkten rechtlichen und administrativen Rahmenbedingungen sowie der bestehenden Vorurteile und Ressentiments.«

Von diesen Roma, die Normalität zu erlangen versuchen, obwohl rechtliche und administrative Bedingungen dagegensprechen, leben etwa 40 000 bis 50 000 als Flüchtlinge in Deutschland. Die meisten stammen aus dem ehemaligen Jugoslawien, insbesondere aus Kosovo, von wo sie ab Juni 1999 in großem Stil vertrieben wurden. Zwei Drittel dieser Menschen verfügen wie Sofia über keinen gesicherten Aufenthaltsstatus.

Sofia sagt von sich lieber gleich, dass sie eine Zigeunerin ist. »Dann gibt es später keine Missverständnisse.« Mittlerweile geht sie mit den Nerven zu Fuß. Unlängst hat sie sich wieder beworben. »Kommen Sie wieder, wenn Sie einen gesicherten Aufenthalt haben«, hat man ihr gesagt. Genau dafür aber hätte sie den Job gebraucht.

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