Vernunft statt Waffen

Es war einmal ein Land – Sari Nusseibeh über Palästina

  • Heinz-Dieter Winter
  • Lesedauer: 3 Min.
Politisches Buch: Vernunft statt Waffen

Für Sari, den humanistischen Nationalisten« – diese Widmung stand dem Buch voran, das ihm einst ein palästinensischer Kommunist im israelischen Gefängnis überreichte. Als sein Vater, eine führende Persönlichkeit in der nationalen Bewegung der Palästinenser sowie Minister und Botschafter im Dienste des jordanischen Königs, starb, bestärkte ihn die Trauer im Wunsch, »Rätsel zu lösen und Bomben zu bauen«. Ständig auf der Suche nach Lösungen für das Rätsel, wie Palästinenser und Juden endlich friedlich zusammenleben können, ist Sari Nusseibeh jedoch kein Bomben bauender Terrorist geworden. Im Gegenteil, Terrorismus lehnt er entschieden ab. Seine »Bomben« sind immer wieder überraschende politische Aktivitäten für eine friedliche Konfliktlösung.

Der 1949 Geborene entstammt einer alteingesessenen wohlhabenden Familie, die vom Kalifen Omar im Jahr 638 zum Wächter der Grabeskirche gemacht worden ist. Der Schlüssel zur Grabeskirche befindet sich bis heute in ihren Händen.

Sari Nusseibeh und der von ihm hochgeschätzte israelische Schriftsteller Amos Oz wuchsen in den 50er Jahren nur wenige hundert Meter voneinander entfernt im getrennten Jerusalem auf. Dennoch kannten sie einander und die Leidensgeschichten ihrer Familien nicht. In den Kindheitserinnerungen von Amos Oz kamen die Araber nicht vor, während die Eltern von Nusseibeh kaum etwas über Auschwitz wussten. Ist diese Unfähigkeit, sich das Leben und die Tragödie der »Anderen« vorzustellen, nicht der Kern des israelisch-palästinensischen Konflikts, fragt Nusseibeh, seit 1995 Präsident der Al-Quds-Universität in Jerusalem. Seiner Tochter erzählte er einmal ein Märchen, dessen Ende mit gutem Ausgang noch auf sich warten lässt: »Es war einmal ein Land ...«

Den Autor zieht es immer wieder zu den philosophischen Lehren von Kant oder Hegel, doch die Leiden des palästinensischen Volkes, Okkupation und Widerstand erlauben ihm kein Verbleiben in einem Elfenbeinturm. »Philosoph der Revolution« nannte ihn sein enger Freund Faisal Husseini. Auf vielfältige Weise war und ist er engagiert in Widerstandsaktionen und Friedensbemühungen. Er war maßgeblich an der 1987 ausgebrochenen ersten Intifada beteiligt, bestrebt, ihr einen friedlichen, gewaltlosen Charakter zu geben. Von 2001 bis 2002 war er als Nachfolger von Husseini Beauftragter der palästinensischen Autonomiebehörde in Jerusalem. Obwohl er Arafat nahe stand, wahrt er gegenüber der PLO und der Fatah kritische Distanz. Die zweite, die Al-Aqsa-Intifada, die durch den Besuch Ariel Sharons auf dem Tempelberg in Jerusalem im September 2000 provoziert wurde, nannte er einen »verheerenden, blutigen Anfall von Wahnsinn«.

Viel früher als andere und gegen Widerstand in den eigenen Reihen hatte Nusseibeh erkannt, dass die friedliche Zukunft sowohl des palästinensischen als auch des israelischen Volkes nur durch die Zwei-Staaten-Lösung zu gewährleisten ist. Mit ihren Schicksalen aneinandergekettet seien Juden und palästinensische Araber objektiv natürliche Verbündete. Geleitet von der Erkenntnis, »dass Vernunft und Gewaltlosigkeit weiter führen als Waffen«, veröffentlichte er 2003 mit dem ehemaligen Oberbefehlshaber der israelischen Marine und Chef des Inlandgeheimdienstes Ami Ayalon eine Friedensinitiative, die sie – im Unterschied zur amerikanischen »Road Map« – »Destination Road« nannten.

Sari Nuseibeh will beiden Seiten im Konflikt gerecht werden – was ihm aber auch auf beiden Seiten Fürsprecher und Gegner eingebracht hat.

Sari Nusseibeh: Es war einmal ein Land. Ein Leben in Palästina. Antje Kunstmann, München 2008. 525 S., geb., 24,90 EUR

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