Verzerrte Tonspur führt zu 006

Sachsens »Sumpf«-Ausschuss vernimmt mehrere Geheimdienstler – ohne sie freilich zu sehen

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Ausschuss, der die sächsische »Sumpf«-Affäre aufklären soll, hat unter denkwürdigen Umständen sechs Verfassungsschützer vernommen. Was diese zur Beobachtung der organisierten Kriminalität aussagen, bleibt ebenso geheim wie ihre Identität.

Die Abgeordneten waren bei der Zeugenvernehmung ganz Ohr. Es blieb ihnen auch gar nichts anderes übrig. Sechs Geheimdienstler wollten die Mitgliedern des Untersuchungsgremiums zum sächsischen »Sumpf« anhören. Was sich in Raum A 108 des Dresdner Landtags gestern abspielte, wirkte indes eher wie eine Seance, bei der Spiritisten versuchen, in Kontakt mit einer Parallelwelt zu treten: Nur ein Zeuge erschien persönlich; die Aussagen der anderen kamen verzerrt über eine verschlüsselte Telefonleitung an. Wer in dem unbekannten Raum am anderen Ende saß, blieb für die Aufklärer im Verborgenen. James Bond im sächsischen Landtag: 006 hinterlässt nur eine verzerrte Tonspur.

Die skurrile Inszenierung passt freilich zu den Spektakel, das unter dem Titel »Sachsen-Sumpf« schon seit anderthalb Jahren in Dresden gegeben wird. Im Mai 2007 kochte die Affäre hoch, als Medien über rund 15 000 Seiten dicke Dossiers des Verfassungsschutzes berichteten. Dessen Referat 33/34 befasste sich, bis das per Urteil des Verfassungsgerichtes verboten wurde, mit der Organisierten Kriminalität – und schien diesen von der CDU-Regierung erteilten Auftrag vollauf zu rechtfertigen: In den Dossiers soll von Verflechtungen zwischen Justiz, Polizei und Kriminellen die Rede sein, von schmutzigen Immobiliendeals und Kinderprostitution. Ihren Höhepunkt erreichte die Aufregung, als der Innenminister im Landtag davor warnte, die Mafia könne zurückschlagen.

Auf den Thriller folgte die Farce. Fachleute, die im Auftrag der Regierung die Akten prüften, befanden, diese enthielten im Kern nur »heiße Luft«; die Vorgänge seien von den Verfassungsschützern unzulässig »aufgebauscht« worden. Merkwürdig war allerdings, dass der ebenfalls an Aufklärung interessierte Landtag von der Regierung mit aller Macht daran gehindert wurde: Einem im Juli 2007 eingesetzten Ausschuss zur Untersuchung verweigerten CDU-Minister wegen dessen angeblicher Verfassungswidrigkeit ein Jahr lang jede Zuarbeit. Erst ein Urteil des Leipziger Verfassungsgerichts im August 2008 stellte klar, dass dies rechtswidrig war.

Jetzt arbeitet der Ausschuss – allerdings ohne, dass die Öffentlichkeit davon jenseits solcher grotesken Inszenierungen wie am gestrigen Tag etwas mitbekäme. Obere und mittlere Leitungsebene des Geheimdienstes stünden im Dezember und Januar für öffentliche und persönliche Anhörungen bereit, sagte der Ausschusschef Klaus Bartl (LINKE) gestern; für die fünf Männer und eine Frau, die als Mitarbeiter im Referat 33/34 beschäftigt waren, sei dies nach einer Gefährdungsanalyse aber untersagt worden. Also nahmen, nachdem sich die Abgeordneten gestern in einen abhörsicheren Raum mit abgeklebten Fenstern verfügt hatten, fünf der sechs Verfassungsschützer nacheinander über die gesicherte Standleitung mit ihnen Kontakt auf – und zwar anonym. »Die Klarnamen sind uns nicht bekannt«, gestand Bartl, der aber betonte, es sei immerhin sichergestellt, dass die Identität der Beamten geprüft werde.

Wie es sich für eine derart klandestine Vernehmung gehört, wird auch über deren Ergebnis nichts nach außen dringen. Bartl erklärte vorab, man erhoffe sich Aufschlüsse, ob auch die Geheimdienstler der Ansicht seien, nur heiße Luft zusammengetragen zu haben »oder ob sie drei Jahre lang ehrbar gearbeitet« hätten. Im Anschluss aber sind die dem Ausschuss angehörenden Abgeordneten und Mitarbeiter, die eigens einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen wurden, zum Schweigen verpflichtet. Sie dürfen nichts sagen – nicht einmal anonym und über eine verschlüsselte Telefonleitung.

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