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Späte Selbstfindung

33 Szenen aus dem Leben von Malgorzata Szumowska

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 2 Min.
Julia Jentsch in »33 Szenen aus dem Leben«
Julia Jentsch in »33 Szenen aus dem Leben«

Eine junge Frau verliert, in kurzer zeitlicher Folge Vater und Mutter – und den beruflichen Boden unter den Füßen: »33 Szenen aus dem Leben« ist die Geschichte einer dreifachen emotionalen Katastrophe, eines Reifeprozesses, einer durch äußere Ereignisse ausgelösten Bewusst- und Erwachsenwerdung. Und es ist ein bisschen die Geschichte der Regisseurin selbst: Malgorzata Szumowska stammt aus just so einer Künstlerfamilie wie der, deren Zerbrechen sie schildert, und es ist vielleicht auch kein Zufall, dass nicht nur der Katalog der Filmfestspiele von Locarno, wo der Film den Spezialpreis der Jury gewann, die Regisseurin unter der doppelten Verkleinerungsform ihres Vornamens verzeichnet: Malgoska. Im Film mag ihre Figur Julia heißen, er erzählt doch die Geschichte, wie aus Malgoska Malgorzata wurde.

Inmitten eines namhaften polnischen Ensembles spielt Julia Jentsch, vor drei Jahren für ihre Darstellung der studentischen Widerständlerin Sophie Scholl auf der Berlinale und von der Europäischen Filmakademie als beste Schauspielerin ausgezeichnet, das Alter Ego der Regisseurin, der Däne Peter Gantzler das Faktotum der Familie, einen bärtigen Hünen, bei dem die emotional angeschlagene Julia Halt und Wärme findet. Damit zwei ernsthafte Schauspieler sich freiwillig ihrer Muttersprache begeben und damit ihres wichtigsten darstellerischen Instruments, müssen sie von einem Projekt schon sehr überzeugt sein. Im Fall von »33 Szenen aus dem Leben« hat sich die Selbstverleugnung gelohnt.

Die Regisseurin mag im Drehbuch ihr eigenes Leben verarbeitet haben, formal beweist ihr Film mehr Stilwillen als ihn das wirkliche Leben je aufbrächte. Von der sorgfältigen Komposition der Einstellungen, den distanzschaffenden Totalen und Halbtotalen über visuelle Running Gags mit inhaltlichem Mehrwert wie die zögerlich schließende Fahrstuhltür in der Klinik, in der Julias Mutter ihrem Krebsleiden erliegt, bis zu den kühlen Farben und reduzierten Requisiten, die die Menschen im Raum isolieren, oder den mit Schwarzfilm und neuer Musik unterlegten Kapiteleinteilungen – hier schafft sichtlich jemand Kunst.

Der Freund der Familie und ehemalige Priester, der über beiden Eltern die letzte Segnung ausspricht, ist, ob nun eine wahre Gestalt oder nicht, ein wunderbarer Kommentar zur polnischen Gesellschaft, die die einst gegen alle Anfeindungen verteidigten religiösen Rituale noch immer tief verinnerlicht hat, ihre spirituelle und institutionelle Rückbindung aber längst aus den Augen verlor. Dass Jentsch, die für die polnische Fassung des Films synchronisiert wurde, für einige Großaufnahmen beim Dreh phonetisches Polnisch sprach und dies bei der von ihr selbst gesprochenen deutschen Fassung deutlich sichtbar bleibt, ist nur ein kleiner Makel an einem ansonsten höchst formvollendeten Film.

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