Schläger von Genua nicht hinter Gitter

Empörung nach Freispruch der brutalen Polizei-Täter beim G8-Gipfel 2001

  • Jens Herrmann, Genua
  • Lesedauer: 3 Min.
»Vergogna, vergogna«, Schande, Schande schreit die aufgebrachte Menge im »Aula Bunker«, dem großen Gerichtssaal des Genueser Gerichts, den Richtern zu. Gerade wurde das Urteil verlesen. Nur dreizehn der 29 angeklagten Polizisten – fast ausnahmslos niedere Dienstränge – wurden zu Freiheitsstrafen zwischen ein und vier Jahren verurteilt.

Während des G8-Gipfels im Jahr 2001 hatten in der Schule »A. Diaz« vermummte Sondereinsatzkräfte 93 Demonstranten festgenommen und 63 von ihnen krankenhausreif geprügelt. Die Polizei wollte sie zu »Terroristen« des »Schwarzen Blocks« machen – dazu brachten sie die Beweise – in Form von Molotowcocktails – gleich selbst mit.

In den vergangenen 171 Verhandlungssitzungen haben die Staatsanwaltschaft und die Anwälte der Opfer des Überfalls die Ereignisse dieser Nacht detailliert rekonstruiert und auch die Verstrickungen der Top-Polizisten, die damals selbst vor Ort waren, aufgezeigt. In ihrem Plädoyer forderten sie insgesamt 110 Jahre Haft unter anderem wegen Amtsmissbrauchs, unterlassener Hilfeleistung, illegaler Verhaftung und Beweismittelfälschung. Nach dreieinhalb Jahren Prozess wurden es nur 36 Jahre Haft. Die Verantwortung der Top-Polizisten wies der vorsitzende Richter Gabrio Barone hingegen zurück. Sie gingen straffrei aus.

Doch auch die verurteilten Polizisten müssen nicht befürchten, hinter Gitter zu kommen, erklärt der Anwalt Emanuele Tambuscio, der mehrere Opfer des Überfalls vertritt. Schon im Februar seien einige der Straftaten verjährt und zudem habe es in Italien einen generellen Straferlass von zwei Jahren gegeben. So würde sie die Revision letztlich wohl vor jeder Strafe schützen.

Auch die Genueser Bürgermeisterin Marta Vincenzi hat sich unter die Zuschauer der Urteilsverkündung gemischt und erklärt nun vor den zahlreichen Fernsehkameras, man sei »einen Schritt vorwärts gekommen«. Bei den anwesenden Opfern trifft diese Ansicht auf Unverständnis. Sie erklären, der italienische Rechtsstaat hätte in diesem Prozess gezeigt, wie er funktioniere und seine Amtsträger vor Strafe geschützt. Nun habe sich auch das Gericht in eine Reihe mit der Polizei und der Politik gestellt, welche von Anbeginn versucht hätten, die Ermittlungen zu blockieren. So habe die Polizei bis heute nicht die Namen der Schläger bekanntgegeben. Mit dem Urteil habe nun auch das Gericht gezeigt, dass es sich weder der Wahrheit verpflichtet sehe, noch über moralische Integrität verfüge.

Das es überhaupt zu diesem Prozess kam, grenzt für viele schon an ein kleines Wunder. Ein Wunder das vor allem auch den beherzten Staatsanwälten Enrico Zucca und Francesco Cardona zu verdanken sind, die gegen alle Widerstände immer mehr Details zum Überfall auf die Diaz-Schule an den Tag brachten und sich selbst von Morddrohungen nicht von ihrem Werk abbringen ließen. Auch die Anwälte der Opfer haben sich im »Genova Legal Forum« zusammengeschlossen und viele Details der Polizeiübergriffe während des G8-Gipfels aufgedeckt. Zumindest können sie es nun als ihren Erfolg reklamieren, dass die Opfer im Urteil teilweise beträchtliche Entschädigungssummen zugesprochen bekamen. Zwischen 2500 bis 50 000 Euro soll der italienische Staat pro Person zahlen.

Frustriert vom Ausgang des Prozesses und peinlich berührt zeigten sich auch zahlreiche Genueser Bürger, die zur Urteilsverkündung gekommen waren. So auch die 63-jährige Lehrerin Katharina A., der ihr Entsetzen ins Gesicht geschrieben steht. Sicher hatte sie keine Wunder erwartet, aber das nun alle »hohen Tiere« straffrei davonkommen, findet auch sie eine Schande.

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