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Antworten für Archie

Geld – Markt – Illusion

  • Jörg Roesler
  • Lesedauer: 3 Min.

Kaum ein Tag vergeht, indem nicht in der Presse über die Finanzkrise geschrieben, im Fernsehen über sie berichtet wird. Im Mittelpunkt stehen die Nachrichten über Firmenzusammenbrüche bzw. über Hilfsaktionen, die dazu dienen sollen, Unternehmen vor dem »Aus« zu bewahren. Einige bemühen sich zwar, Hintergründe aufzudecken. Dass aber bereits jetzt ein Buch auf den Markt kommt, das die Finanzkrise zum Gegenstand hat und die politökonomischen Gesetzmäßigkeiten beleuchtet, nach denen sie zustandekommen musste, ist sensationell.

Wiljo Heinen, diplomierter Physiker, der Volkswirtschaftslehre studiert hat, um die Wirtschaftspolitiker, wie er schreibt »in ihrer eigenen Sprache« widerlegen zu können, versteht es zu erklären, wie auf dem Finanzmarkt die Entscheidungen über Investition und Konsumtion, d. h. über unsere Zukunft getroffen werden, warum Finanzkrisen auch immer Glaubenskrisen sind und warum die Regulierung über den Markt »die undemokratischste Form der Zuteilung« ist, die es gibt. Heinen erläutert u. a., warum sich die Vielzahl abgeleiteter Finanzprodukte (Derivate) letztlich aus dem Profit des eingesetzten Kapitals speist und alle Renditen zusammen nicht höher sein können als der Profit, der wiederum davon abhängig ist, wie viel tatsächlich produziert wurde. Das ganze Knäuel von »Anlagemöglichkeiten« diene letztlich nur der Verteilung des Profits unter die Profiteure. Wenn auch die »kleine Leute« animiert werden, sich mit ihren Ersparnissen an Börsengeschäften zu beteiligen, ist da stets etwas faul. Die Geschichte lehrt: »Spätestens dann, wenn die kleinen Leute anfangen, Kredite aufzunehmen, um Aktien zu kaufen, weil diese so ›profitabel‹ sind, ist das Ende des Spiels absehbar.« Heinen kann auch erklären, warum die Produktionsmittel eines Unternehmens, dessen Aktienwert fast auf Null gefallen ist und das Bankrott anmelden muss, durchaus noch ihren Wert haben und die Liquidatoren bei deren Verkauf aus der Konkursmasse Gewinn schlagen können. Dem Autor gelingt es, selbst sehr komplizierte Zusammenhänge knapp und deutlich darzustellen. Das muss er gewissermaßen auch, denn der Adressat seiner Erläuterungen ist »Archie«, ein hartnäckiger Fragesteller aus der ehemaligen DDR, der bei Heinens Analyse der Details der nur in guten Zeiten einwandfrei funktionierenden Regulierung von Konsumtion und Investitionen über den Markt und über die dem System innewohnenden Möglichkeiten schwerer Fehlentscheidungen immer wieder versucht, »die Plankommission« als Alternative ins Gespräch zu bringen.

Ein Aha-Erlebnis hat der ostdeutsche Leser, wenn Heinen einen der »Treuhandtricks« erläutert: Beim Verkauf der VEB wurde nicht vom Wiederbeschaffungswert der Produktionsmittel ausgegangen, sondern die Bewertung des Unternehmens auf der Basis der Kapitalisierung des laufenden bzw. des zu erwartenden Gewinns vorgenommen. Der war 1990 angesichts des Einbruchs des Absatzes aufgrund der einströmenden ›Westwaren‹ und der schlagartigen Erhöhung der Lohnstückkosten durch die Währungsumstellung fast gleich Null. Und war schlicht und einfach: NULL.« War ein Betrieb erst einmal für eine DM verkauft, konnte sein neuer Besitzer das Betriebsvermögen gut und gerne wieder zur Produktion einsetzen. So manche Maschine wurde veräußert und irgendwo in der Welt wieder aufgebaut.

Verwirrende Nachrichten zur Finanzkrise werden uns weiter begleiten. Um nicht den Überblick zu verlieren, sollte der Leser versuchen, sie in die großen Zusammenhänge kapitalistischen Wirtschaftens einzuordnen. Dabei kann Heinen hilfreich sein.

Wiljo Heinen: Geld – Markt – Illusion. Betrachtungen zur Marktwirtschaft und ihrer Finanz-Krise. Wiljo Heinen. 172 S., br., 5 EUR.

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