nd-aktuell.de / 11.12.2008 / Kultur / Seite 9

Hineingerutscht

CORNELIA FUNKE ist die erfolgreichste deutsche Kinderbuchautorin weltweit. Die 47 Bücher, die die seit gestern 50-Jährige bislang geschrieben hat, verkauften sich 15 Millionen Mal. Das nun verfilmte »Tintenherz« ist der erste Teil ihrer »Tintenwelt«-Trilogie. Mit Cornelia Funke sprach KNUT ELSTERMANN.

ND: Sie haben, ohne den pädagogischen Zeigefinger zu erheben, Bücher geschaffen, die das Lesen als einziges Abenteuer feiern. Wie sind Sie in dieses »Tinten-Universum« gelangt, in dieses Reich der real gewordenen Fantasie?

CORNELIA FUNKE: Als ich damals anfing, daran zu schreiben, habe ich immer gedacht, das wird sicher ein Buch für Buchverrückte, also für Leute wie mich. Das wird kein großer Hit. Ich bin noch heute überrascht, wie viele Leute, die sonst nie lesen, mir erzählen, dass sie es mögen. Das ist natürlich wunderbar, wenn man als Buchverrückte offenbar etwas weitergeben kann, diese Lust am Lesen. Ich habe das Werk wirklich als Liebeserklärung an das Buch geschrieben und auch an all die Menschen, die besessen an Büchern arbeiten. Ich wollte in unserer Zeit, in der man schnell vergisst, was für ein sinnliches Ding so ein Buch ist, auch darauf aufmerksam machen, wie viel Handwerk darin steckt. Das war aber eher ein Spiel mit meiner eigenen Neugier, ich habe so viel darüber gelernt, über das Buchbinden, das Büchersammeln und so weiter. Ich habe mich damit selbst betört.

Ich finde, die Botschaft ist im Film bei allen aufwendigen Special effects im Kern gerettet worden, dieses Lob des Lesens und des Buches.

Damit bin ich auch sehr zufrieden, weil ich weiß, wie schwierig das ist und mich immer gefragt habe, wieso wollen die alle einen Film daraus machen, das ist doch fast unmöglich. Das Lesen ist doch keine sehr spektakuläre Tätigkeit, Bücher sind doch nichts Großartiges auf der Leinwand.

Hatte der Regisseur Iain Softley von Anfang an Verständnis für dieses Problem?

Ein sehr großes. Ich kannte seine wunderbare Literaturadaption »Die Flügel der Taube« nach Henry James und dachte immer, dass er die richtige Sensibilität dafür hat. Außerdem hat er ein sehr gutes Gespür für Italien: Das ist der andere Hauptdarsteller – es ist auch meine Liebeserklärung an Ligurien.

Im Buch und im Film hat der eigentliche Vorgang des Schreibens eine große Dramatik, er ist lebensrettend. Ist das bei Ihnen auch so?

Ich bin absolut keine Leidende beim Schreiben, bei mir ist es die größte Lust. Ich warte noch auf das Leiden – jetzt ist es die allergrößte, wunderbarste Befriedigung. Wenn ich ein paar Tage nicht zum Schreiben komme, dann werde ich wirklich sehr schlecht gelaunt.

Ihnen muss es doch so gehen wie den Figuren im Roman, plötzlich werden die Dinge lebendig, die sich bisher nur im Kopf abspielten.

Das war sehr bizarr, wenn einem das ausgerechnet mit einem Buch passiert, das ja genau dies permanent thematisiert ! Als ich in dieses ligurische Dorf an den Set kam und auf die Darsteller der rüden »Schwarzjacken« mit ihren Flinten traf, und die mir dann mein Buch zum Signieren entgegenhielten – da verschwammen Vorstellung und Realität auf das Seltsamste.

Genau das ist ein zentrales Thema von »Tintenherz«!

Absolut! Es geht ja nicht nur ums Lesen. Es geht auch um unser Gefühl, was ist denn eigentlich Realität und wie viel davon erschaffen wir mit unserer eigenen Vorstellung? Werden wir vielleicht alle auf irgendeine Weise »geschrieben« und wissen es gar nicht. Das war für mich das Schöne an diesen Büchern, dass ich auf immer mehr Themen kam, je mehr ich in diese Geschichte hineinrutschte.