Über Malmö schwebt der Geist des Schokoladenmannes

Schwedische Stadt am Sund bereitet sich auf ihre Art auf die Festtage vor

Der »verrückte Turm«
Der »verrückte Turm«

Dem kleinen Nils Holgersson, der einst mit den Wildgänsen reiste, erschien seine Heimat Schweden aus luftiger Höhe wie ein gewürfeltes Tuch – eine bunte Mischung aus Wäldern, Wiesen und Seen. Eine dieser schönen Stellen kann man seit einigen Jahren trockenen Fußes vom benachbarten Dänemark aus erreichen. Die Öresundsbron, eine rund 16 Kilometer lange Brücken- und Tunnelkombination, macht das möglich.

Malmö soll die Heimat des schwedischen Weihnachtsmannes sein. Da das Gegenteil nicht zu beweisen ist, glauben wir das einfach mal. Auf jeden Fall bewegt er sich derzeit geschäftig durch die Stadt. Mit seiner Kutsche fährt er durch die Fußgängerzone, immer dicht umringt von Kindern. Auf dem Kutschbock liegt ein dickes rotes Buch. Lucia und Ole lassen sich gleich ihre Wünsche eintragen.

Ohne Kitsch und Kommerz

Auch auf dem Gutshof Katrinetorp am Stadtrand von Malmö ist der Weihnachtsmann von einer Traube Kinder umgeben. Neugierig schauen sie, welche kleinen Geschenke er ihnen aus dem großen Sack holt. Hunderte Menschen aus dem ganzen Land kommen hierher zu einem der berühmtesten und ursprünglichsten Weihnachtsmärkte Schwedens. Kommerz und Kitsch müssen vor der Tür bleiben. Nach Kettenkarussell und Riesenrad hält man glücklicherweise vergeblich Ausschau. Die Kinder toben fröhlich auf gestapelten Strohballen herum, basteln oder malen im »Kinderzelt«. Auf dem Hof singt ein Chor, im Restaurant spielt »Lunds Spelmansgille«, eine Truppe schwedischer Volksmusiker aus dem nahen Lund, schonische Volks- und Weihnachtslieder.

Den Beweis dafür, dass man sich zweimal im Leben sieht, liefert Katrinetorps Hof auch. Beim Schokoladenmann Peter Hansson ging das ziemlich schnell. Stunden zuvor noch führte er uns durch seine Schokoladenfabrik – die einzige in Schweden –, ließ uns seine Köstlichkeiten probieren. Nun bietet er sie auf dem Weihnachtsmarkt an.

Die süße Firma feierte in diesem Jahr 120. Geburtstag. Durch das alte Gebäude im Zentrum Malmös schwebt der Geist des Firmengründers Emil Mazetti Nissen, der 1888 aus Kopenhagen kam. Gemalt mit sieben Kilo Schokolade, schaut der Meister von einem riesigen Bildnis herab. Bei Peter Hansson kommt nur Ware aus feinstem Kakao in die Verpackung. 14 000 Kakaosorten gibt es; er muss wirklich nur die besten verarbeiten. Weiße Blockschokolade bezeichnet Peter Hansson übrigens als Desaster.

Malmö war zu Beginn des 16. Jahrhunderts zweitgrößte Stadt Nordeuropas. Durch den Anschluss der Provinz Skane an Schweden 1658 lag sie plötzlich nicht mehr im Zentrum, sondern an der Peripherie. Doch die Verbindungen zum dänischen Nachbarn blieben intakt. Und mit dem Brückenschlag über dem Öresund wurde Malmö zu neuem Leben erweckt. Vor rund 15 Jahren drohte die Stadt auszubluten. Das Saab-Werk schloss, auch andere Firmen zogen weg. Nahezu die Hälfte aller Arbeitsplätze ging verloren. Der Staat führte eine »Robin-Hood-Steuer« ein, d. h., reiche Gemeinden wurden zwangsverpflichtet, den ärmeren zu helfen.

Die relative Armut ging mit Eröffnung der Brücke schnell zurück. Das Land ist in Malmö viel billiger als in Kopenhagen, der Weg dorthin nun nur noch ein Katzensprung. Dort arbeiten, hier leben. Im ehemaligen westlichen Hafen wuchs ein ganz neues Wohnviertel. Wohnten 1998 hier 250 000 Menschen, marschiert Malmö jetzt auf die 300 000-Grenze zu. In der drittgrößten Stadt Schwedens leben Menschen aus 177 Nationalitäten, mehr als 100 Sprachen werden gesprochen. Die Stadt ist jung, an der vor zehn Jahren eröffneten Universität studieren 23 000 Menschen. Verkehrsprobleme hat Malmö kaum. Nur am Freitagnachmittag ist es etwas voll, meint Stadtführerin Karin. »Doch mit dem Fahrrad ist alles kein Problem. Malmö ist kürzlich zur viertbesten Fahrradstadt der Welt gekürt worden.«

400 Kilometer Radwege führen durch die Stadt. Längst lief das Rad Bus und Auto den Rang ab. Nur die Parkplätze sind rar. Derzeit wird am Bahnhof ein schwimmender Fahrradparkplatz im Kanal gebaut. Außerdem soll eine unterirdische Garage nur für Fahrräder entstehen. Die Falschparkprobleme der deutschen Autofahrer haben in Malmö die Radler. Regelmäßig werden falsch geparkte Fahrräder eingesammelt. Die können nur gegen Zahlung des Strafzettels wieder ausgelöst werden. Bei Nichtabholung droht den Drahteseln dann das Schicksal Versteigerung.

Neue Leichtigkeit

Die Brücke bescherte Malmö nicht nur neues Leben, auch eine neue Leichtigkeit zog ein. Moderne Architektur verdrängt das Image einer alten Industriestadt. Wo einst Ozeanriesen vom Stapel liefen, paddeln Kinder in kleinen Booten durch künstlich angelegte Kanäle. Wie ein modernes Bullerbü, bunt und auf den ersten Blick etwas konfus aussehend, wirkt der neue Stadtteil am alten Westhafen. Und die Öresundbrücke ist nicht mehr das einzige Wahrzeichen. Sie bekam schiefe Konkurrenz – vom »Turning Torso«, der sich 190 Meter hoch über dem Öresund in den Himmel schraubt. Auf 54 Etagen. Von überall ist das Wasser zu sehen und sei es im mit Meerwasser gefüllten Kanal. Es wird gebaut wie verrückt am ehemaligen Westhafen, eine Mischung aus unterschiedlichen futuristischen Architekturstilen, allerdings nicht ganz so verrückt wie das verrückte Hochhaus.

  • Informationen über Malmö: www.malmo.se
  • Malmöer Schokoladenfabrik: Möllevangsgatan 36B, Telefon: (0046) (0)40 45 95 05, www.malmochokladfabrik.se
  • Anreise nach Malmö: mit Scandlines von Puttgarten nach Rodby, von Rostock nach Gedser oder Trelleborg, von Sassnitz nach Trelleborg. Telefon: 01805 11 66 88, www.scandlines.de
Dickes Buch auf dem Kutschbock: Der Weihnachtsmann nimmt die Wünsche der Kinder entgegen.
Dickes Buch auf dem Kutschbock: Der Weihnachtsmann nimmt die Wünsche der Kinder entgegen.
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