Das Gespenst verschwindet

Die linke Zeitschrift Fantômas wurde nach sechs Jahren und 13 Ausgaben eingestellt

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.

Der französische Regisseur Louis de Feuillade ist heute wenig bekannt. Dagegen regt das Wesen, das in seinen Filmen eine wichtige Rolle spielt, bis heute die Fantasie nicht nur von Künstlern an. Sein Name ist Fantômas. Unter diesem Titel erschien im Sommer 2002 eine Zeitschrift auf dem linken Medienmarkt, die nicht nur mit dem Namen große Ansprüche ausdrückte. Mit dem abgewandelten Mao-Spruch »Zu rebellieren und zu denken wagen« auf dem Titelblatt weckte die erste Nummer die Erwartungen einer globalisierungskritischen Linken, der ein Jahr zuvor durch die blutigen Polizeieinsätze gegen die G8-Proteste in Genua ihre Grenzen gezeigt wurden.

Die gerade erschienene 13. Ausgabe wird nun die letzte sein. Die Redaktion hat sich zerstritten. In der Erklärung der Textredaktion zur Einstellung des Erscheinens heißt es: »Sichtbar geworden ist, dass auch innerhalb einer Gruppe, die lange Jahre von konstruktiver Zusammenarbeit und auch von Freundschaften getragen wurde, individuelle Machtansprüche und Kommunikationsunfähigkeiten, sich festigende Rollenzuschreibungen und mehr oder minder verdeckte Hierarchien zusammen mit einer nicht ausdiskutierten Differenz von Politikkonzepten ein reichlich destruktives Gemisch bilden können.« Konkreter wollte gegenüber ND keiner der Ex-Fantômas-Macher werden. Die Zeit der internen Aufarbeitung sei noch im Gange und auch über Nachfolgeprojekte werde noch diskutiert.

Fantômas war als Themenheft und als Halbjahres-Magazin der Monatszeitung ak – analyse & kritik konzipiert. Der Titel war durchaus nicht zufällig gewählt. »Fantômas entzog sich allen Zuschreibungen und Identitäten und glich weder den Herrschern noch den Beherrschten. Er war ein Gespenst eben, das mal hier und mal dort auftauchte«, schrieb die Redaktion zu Beginn des Projekts. In den 13 Heften, die seitdem erschienen sind, versuchte sie diesen Anspruch umzusetzen. Auch linke Zuschreibungen und Identitäten wurden dort in Frage gestellt und, statt von Beherrschten und Herrschern zu sprechen, wurden Machtverhältnisse als netzförmig beschrieben.

Die Fantômas-Macher bezogen sich auf die Machtkritiker Michel Foucault und John Holloway. Manche Leser warnten bald vor postmoderner Beliebigkeit. Doch auch die schärfsten Kritiker mussten zugeben, dass die meist flott geschriebenen Texte zur Auseinandersetzung anregten. Schließlich war die Zeitschrift als Debattenorgan konzipiert. Auch auf das Layout legte die Fantômas großen Wert. Die Zeit der eng bedruckten linken Publikationen, bei denen es in erster Linie auf den Inhalt und nicht auf die Präsentation ankam, war schließlich vorbei.

Neben dem redaktionsinternen Streit hat das Ende der Fantômas auch eine politische Dimension. In Krisenzeiten scheint in der Linken wieder mehr ökonomisches Basiswissen gefragt. Debatten über Dekonstruktion und Biopolitik hingegen treten in den Hintergrund. So trägt denn auch die gerade viel gelesene linke Publikation Lunapark21 den Untertitel »Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie«. Vielleicht war Fantômas am Ende auch für viele Leser zu schwer zu fassen?

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