Badelatschen und Leuchtraketen

Argentinien: Hitzewelle am Rió de la Plata

  • Lesedauer: 3 Min.

Von Jürgen Vogt, Buenos Aires

Dezember 2008 am Rió de la Plata. Eine Hitzwelle von 35 Grad im Schatten brütet seit Tagen über Buenos Aires. Läuft da etwa einer mit knielangem roten Mantel, die Kapuze tief über den Kopf gezogen und weißem Rauschebart herum? Hätte Argentinien der Welt den Weihnachtsmann beschert, käme er in Badelatschen, Shorts, mit Sonnenbrille und einem Strohhut auf dem Kopf daher.

Wer derzeit in der argentinischen Hauptstadt die als Papa Noel verkleideten Aushilfskräfte sieht, bekommt Mitleid. Glück hat, wer als Weihnachtsmann in einem der vollklimatisierten Shoppingcenter seinen Dienst verrichten kann. Darin fahren die Airconditions die Temperaturen schon mal soweit herunter, dass auch der Anblick der kunstschneeverzierten Tannenbäume weniger irritiert. Aber die Lautsprecher verzichten auf das Hintergrundflöten von »Leise rieselt der Schnee« oder »Stille Nacht, heilige Nacht«.

Heilig ist die Nacht vom 24. auf den 25. Dezember im streng katholischen Argentinien. Still ist sie mit Sicherheit nicht. Denn pünktlich um Mitternacht krachen die Böller und schießen die Leuchtraketen in den Himmel, als wäre schon Silvester. Die Ankunft des Jesuskindes wird lautstark gefeiert und alle sind auf den Beinen, auf Straßen und Plätzen.

Zur mitternächtlichen Stunde dürfen endlich auch die Geschenke ausgepackt werden. Weshalb so mancher argentinische Knirps erstmals in seinem Leben am Heiligen Abend bis weit nach Mitternacht aufbleiben darf. Früher mussten die Kinder noch bis zum 6. Januar auf die Heiligen drei Könige warten. Aber irgendwann hatten sie es dann geschafft, dass die Eltern die Päckchen doch schon am 24. Dezember unter den Weihnachtsbaum legen.

Die Zeit bis Mitternacht wird auch in Argentinien in der Familie mit einem guten Essen verbracht. Fehlen darf auf keinen Fall Pan Dulce; das süße Brot gibt es nur zu Weihnachten. Und natürlich Sidra, der schäumende Apfelwein, in Europa als Cidre bekannt.

Wenn dann alle geschenk- und apfelweinselig sind, dann wird gefeiert und getanzt, mitunter bis zum Sonnenaufgang. Die Weihnachtslieder erzählen nicht von still und starr liegenden Seen, aber schon vom Frieden für den Menschen auf Erden. Darunter mischt sich mal der eine oder andere tanzbare Karnevalsschlager.

Am 25. Dezember wird ausgeschlafen. Er ist der einzige gesetzliche Feiertag. Gegen Mittag mischt sich die Luft mit dem Duft verglühender Holzkohle und brutzelndem Fleisch. Im Familienkreis wird das Asado gemacht, das traditionelle allgegenwärtige Grillen von großen Rinderstücken. Dieses Jahr könnte sich das Grillen länger hinziehen. Weil der 26. auf den Freitag fällt, geht das Gerücht vom Regierungsdekret über einen arbeitfreien Tag für die Staatsangestellten um. Damit würde sich die Regierung die Flut von Krankenscheinen wegen Weihnachtsvöllerei ersparen.

Am 9. Juli 2007 hatte es übrigens in Buenos Aires nach 80 Jahren mal wieder geschneit. Leise rieselte der Schnee auf die Plaza de Mayo. An diesem Tag wurden in Deutschland auf Datschen und an Baggerseen in Badelatschen und mit Strohhut auf dem Kopf die Steaks umgedreht. Am Río de la Plata hatten einige Menschen Weihnachtsgefühle.

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