Die Eiswette fiel ins Wasser

Streiflichter aus dem Winterland

  • Lesedauer: 6 Min.
Der strenge Winter macht den Menschen zu schaffen, aber vom Ausnahmezustand wie vor 30 Jahren sind wir weit entfernt. Impressionen von Hendrik Lasch, Anke Engelmann, Volker Stahl und Velten Schäfer.

Es ist unangenehm kalt in der Grube: Seit Tagen liegen die Temperaturen im Kohlerevier südlich von Leipzig stabil unter Null. Ein frostiger Wind bläst durch den Tagebau Profen. In einer der letzten Nächte sanken die Werte sogar auf minus 25 Grad. Trotzdem drehen sich die Schaufelräder der Kohlebagger gleichmäßig, und die Förderbänder surren. »Die Kälte macht uns nichts aus«, sagt Sylvia Werner, Sprecherin der Mitteldeutschen Braunkohlengesellschaft mbH (Mibrag): »Bei uns herrscht störungsfreier Betrieb.«

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27 Zentimeter Neuschnee liegen in Großbreitenbach, einem idyllischen 3000-Einwohner-Ort im Thüringer Wald. Die weiße Pracht kam sehr gelegen, findet doch gerade der Biathlon-Weltcup im nicht weit entfernten Oberhof statt. »Davon profitieren wir auch«, sagt Petra Enders, Bürgermeisterin von Großbreitenbach und LINKE-Abgeordnete im Landtag.

Generell mache sich der Schnee in den Bergen des Thüringer Waldes immer mehr rar, »doch wenn er kommt, dann richtig«, erzählt die Bürgermeisterin. Einerseits zieht der Schnee Touristen und damit Geld in die Wintersport-Regionen. Andererseits bringt die Räumung der Straßen Kosten, was besonders für ärmere Gemeinden eine große Kraftanstrengung sein kann. Denn laut Thüringer Straßengesetz sind die Kommunen für die Schneebeseitigung in den Orten selbst zuständig. Seit 2005, als die Landesregierung entsprechende Beihilfen abgeschafft hat, müssen sie das auch selbst bezahlen.

Zudem sind die Kosten für den Winterdienst in die Höhe geschnellt, seit die Landesregierung die Straßenmeistereien erst in eine Landesgesellschaft überführt und 2002 privatisiert hatte. Während man im Bundesdurchschnitt von 2500 Euro pro Kilometer ausgeht, kostet die Schneebeseitigung in Thüringen auf Landesstraßen 4950 und auf Bundesstraßen 7470 Euro pro Kilometer und Winterperiode, bemängelt der Landesrechnungshof. Hauptursache: Obwohl das zu befahrende Netz um 500 Kilometer kürzer wurde, sei die Zahl der Einsatzkilometer um 74 Prozent gestiegen. Kein Wunder, antwortete die Landesregierung pfiffig den Rechnungsprüfern: Schließlich seien durch die Umstufung von Bundes- zu Landesstraßen die Verkehrswege statistisch um acht Zentimeter breiter.

Die für den Winterdienst zuständige Thüringer Straßenwartungs- und Instandhaltungsgesellschaft (TSI) war auch den Großbreitenbachern zu teuer. »Die Stadt räumt den Schnee selbst«, sagt Petra Enders. Deshalb klappen am Ortseingangsschild die TSI-Fahrzeuge ihre Schneeschieber hoch und am Ortsausgangsschild wieder herunter.

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Im angeblich so kühlen Norden war es dagegen schon lange nicht mehr richtig kalt – jedenfalls nicht in Hamburg. »Den letzte richtigen Winter gab es 1996«, sagt Birger Tinz vom Deutschen Wetterdienst. Die mitten in der Stadt gelegene Alster war zuletzt 1997 zugefroren. Seitdem müssen die Hanseaten auf ihren liebsten Winterspaß – das Alstervergnügen – verzichten. Ist die Eisdecke 20 Zentimeter dick, dürfen Händler ihre Buden auf dem Binnengewässer aufbauen und Glühwein oder heißen Kakao an die bis zu 100 000 Flaneure auf rutschigem Grund ausschenken. Die Lizenzen für den Ausschank waren 1997 nach wenigen Minuten vergeben.

Zwar zeigte das Thermometer in der Hansestadt dieser Tage bis zu 13 Grad minus an, aber das reicht nicht. Vorbei die Zeiten der 1970er Jahre, als das Eis fast in jedem Winter hielt. 14 Tage Dauerfrost seien zur Freigabe der Eisfläche nötig, verlautet es aus der Umweltbehörde. Deshalb sind die Alsterdampfer zurzeit noch als Eisbrecher unterwegs.

Auch andernorts im Norden fehlt die nötige Eisdecke: In Bremen schlug trotz aller Minusgrade die 180. Auflage der traditionellen »Eiswette« fehl. Ein Schneiderlein von 99 Pfund Körpergewicht muss dabei seit 1829 am Dreikönigstag versuchen, mit einem heißen Bügeleisen in der Hand den Fluss trockenen Fußes zu überqueren. Um dem armen Probanden ein Eisbad zu ersparen, wurde er gleich mit einem Boot übergesetzt.

Den Tieren im weltberühmten Hamburger Zoo Hagenbeck geht es derzeit kaum besser als den »Kollegen« in der Freiheit. Besonders große und schwere Tiere wie Giraffen und Elefanten müssen aufpassen, dass nicht auf dem vereisten Boden ausrutschen. Die Flamingos verdrücken sich in den kalten Nächten als erste in die Innengehege. Nur die Kamtschatkabären, die in unseren Breiten normalerweise nichts verloren haben, freuen sich bei Minusgraden endlich über »artgerechte Haltung« …

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Dass es zwar kalt, aber für bestimmte Zwecke nicht kalt genug ist, bekamen zwei junge Männer zu spüren, die in der Nacht zum Donnerstag in der Schweriner Altstadt gezecht hatten. Als sie gegen drei Uhr mit dem Auto loswollten, aber einer Polizeistreife in die Arme fuhren, überschätzten sie offenbar das Hochdruckgebiet »Angelika«. Beim Versuch, den Beamten über den zugefrorenen Pfaffenteich zu entkommen, brachen sie ein. Etwa zehn Meter vom Ufer entfernt und samt fahrbarem Untersatz. Nun müssen sie mit einer Anzeige nicht nur wegen Trunkenheit am Steuer rechnen, sondern auch wegen »Gewässerverunreinigung«.

Die spektakulärsten Werte im Nordosten wurden im Landesinneren gemessen. Feldberg im Süden Mecklenburg-Vorpommerns zum Beispiel brachte es auf minus 16,5 Grad – der Rekord aus dem Jahr 1956 wurde aber um zehn Grad verfehlt. An der Küste hielten sich die Behinderungen in Grenzen. Richtig dick ist das Eis nur in flachen Ufergewässern wie im Greifswalder Bodden. Im Stralsunder Hafen waren sogar Eisbrecher im Einsatz.

Den Notstand kann man in diesen Tagen dennoch erleben – im gut beheizten Gustav-Adolf-Saal zu Stralsund. Dort wurde gestern Abend »Schicht C« gegeben, ein aus Zeitzeugengesprächen entwickeltes Stück des Theaters Vorpommern über den winterlichen Ausnahmezustand im Nordosten vor fast genau 30 Jahren. Damals gerieten Kraftwerksarbeiter beim Versuch, die eingeschlossene C-Schicht im Kernkraftwerk »Bruno Leuschner« abzulösen, in meterhohen Schneeverwehungen in Lebensgefahr.

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Ähnlich dramatisch war damals die Lage in den 17 Braunkohlengruben der DDR, in denen eine der denkwürdigsten »Winterschlachten« geschlagen wurde. Die Temperaturen waren urplötzlich tief in den Keller gefallen – von plus 10 auf minus 20 Grad. Förderbänder versagten den Dienst ebenso wie die Weichen der Grubenbahnen, Kohle fror in Waggons fest. Selbst in normalen Wintern fuhr die Energiewirtschaft in der DDR am Limit. Einem Strombedarf von 21 000 Megawatt stand eine installierte Kraftwerksleistung von 22 000 Megawatt gegenüber; die Reserven an abgebauter Braunkohle – seit 1975 zum Haupt-Energieträger erklärt – reichten nur für acht Stunden. Selbst in Großstädten wie Dresden blieben in jener Neujahrsnacht viele Lampen dunkel.

Solche Zustände sind im Tagebau Profen Geschichte, auch wenn im Winter nicht mehr Soldaten und Studenten mit Hacken und Eispickeln an die Bänder geschickt werden. Man habe »massiv in robuste und stabile Technik investiert«, sagt Sylvia Werner. Mit speziellen Anlagen können Abraum und Kohle angetaut und das Anfrieren an »Übergabestellen«, etwa zwischen Baggern und Bändern, verhindert werden. Zudem seien Raupen und andere Hilfsgeräte widerstandsfähiger – auch wenn nach einer klirrend kalten Nacht manchem Dieselmotor auf die Sprünge geholfen werden muss.

All das heißt nicht, dass die Arbeit im Tagebau im Winter ein Zuckerschlecken geworden wäre. Tätigkeiten, bei denen Arbeiter stundenlang im Freien tätig sind, seien verschoben oder durch häufigere Aufwärmpausen unterbrochen worden. Die Versorgung mit Kohle aber sei nie beeinträchtigt gewesen, sagt Werner: »Wir fördern jeden Tag 80 000 Tonnen.« Zudem sind die beiden Kohlenlagerplätze an den Gruben Profen und Vereinigtes Schleenhain mit 400 000 Tonnen halb voll. Die Mibrag könne ihre Kunden sieben Tage lang beliefern – auch wenn der Frost wieder strenger wird.

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