nd-aktuell.de / 10.01.2009 / Kommentare / Seite 7

Freiheit und Demokratie

Rosa Luxemburg wollte die Veränderung der Menschen

Narihiko Ito

1892 gab die junge, aus Polen exilierte Rosa Luxemburg in Paris eine Broschüre heraus, in der sie bereits ihr Konzept von Sozialismus entwickelte. Sie erklärte, dass die polnischen Arbeiter zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen um Freiheit und Demokratie kämpfen müssten. Menschenrechte und parlamentarische Demokratie sah sie als unentbehrliche Voraussetzung an, um zu einer sozialistischen Gesellschaft zu gelangen. In »Sozialreform oder Revolution?« 1899 wiederum polemisierte Rosa Luxemburg gegen den deutschen Sozialdemokraten Eduard Bernstein, der behauptete, dass die Entwicklung der Demokratie im Kapitalismus die Ergreifung der politischen Macht durch eine proletarische Revolution unnötig mache. Sie verwies auf die Begrenztheit von Demokratie im Rahmen des kapitalistischen Systems und betonte: »Ist die Demokratie für die Bourgeoisie teils überflüssig, teils hinderlich geworden, so ist sie für die Arbeiterklasse dafür notwendig und unentbehrlich.« Weil nur im Kampf um Demokratie das Proletariat zum Bewusstsein seiner Klasseninteressen und seiner geschichtlichen Aufgaben kommen könne.

Bekanntlich stritt Rosa Luxemburg auch heftig mit Lenin. In ihrem berühmten Gefängnismanuskript »Zur russischen Revolution« kritisierte sie seine Staatstheorie. Es sei eine »vereinfachte Auffassung«, wenn er den bürgerlichen Staat als Werkzeug zur Unterdrückung der Arbeiterklasse angreife, den sozialistischen Staat aber lediglich zur Unterdrückung der Bourgeoise, also gewissermaßen bloß als auf den Kopf gestellten kapitalistischen Staat, definiere. Das sehe vom Wesentlichen ab. Sozialismus erfordere eine geistige Umwälzung bei den Massen, die durch Jahrhunderte der bürgerlichen Klassenherrschaft degradiert seien: »Soziale Instinkte anstelle egoistischer; Massen-initiative anstelle der Trägheit; Idealismus, der über alle Leiden hinwegbringt usw, usw.«

Spontaneität anstelle Zwang, Öffentlichkeit anstelle Geheimdiplomatie, Schöpfertum statt Dekretismus waren wesentliche Merkmale des Luxemburgischen Sozialismus. Freie und freiheitliche Entwicklung der Massen zu selbstbewussten Persönlichkeiten war ihr wichtig. In ihrer programmatischen Schrift »Was will der Spartakusbund?« begründete sie: Das Wesen der sozialistischen Gesellschaft besteht darin, dass die große arbeitende Masse aufhört, eine regierte Masse zu sein, sondern sie vielmehr das ganze politische und wirtschaftliche Leben in bewusster freier Selbstbestimmung lenkt. Sozialismus beschränkte sich für Rosa Luxemburg nicht nur in der Sozialisierung der Produktionsmittel und der Reform des politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systems, Sozialismus bedeutete ihr auch eine Veränderung der Menschen.

Wenn angesichts der heutigen ernsten wirtschaftlichen Krise nach Auswegen gesucht wird, ist Rosa Luxemburgs Nachlass eine ergiebige Quelle.

Prof. (em.) Narihiko Ito, Chuo-Universität Tokio, ist seit 1980 Vorsitzender der Internationalen Rosa-Luxemburg-Gesellschaft.