Die arbeitenden Schwestern

Wanderarbeiterinnen in Chinas Weltmarktfabriken

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Buch »Dagongmei« erzählt Geschichten von zwölf Wanderarbeiterinnen, die in den Weltmarktfabriken chinesischer Städte ihre Arbeitskraft anbieten. Es sind Geschichten über schlechte Arbeitsbedingungen, über selbstbewusste Frauen, die der Enge ihrer Heimat entfliehen – und es sind auch Geschichten von Auflehnung.

»Kurz vor Mittag näherte sich eine schwarze Limousine. Der Vater und Freunde aus seinem Dorf vermuteten, es sei das Auto des Fabrikdirektors. Sie gingen auf das Auto zu und hielten es an. Ein Mann steigt aus, schaute sie von oben herab gleichgültig an und beschimpfte diese alten Leute, die schon den ganzen Vormittag gewartet hatten.« Diese frühkapitalistisch anmutende Szene spielte sich im Jahr 2001 in China ab. Nachzulesen ist sie im Buch »Dagongmei«. Mit diesem chinesischen Wort, das sich mit »arbeitende Schwestern« übersetzen lässt, werden die Wanderarbeiterinnen bezeichnet, die aus Dörfern in die Weltmarktfabriken ziehen, die das Rückgrat des chinesischen Wirtschaftswunders sind.

Im Buch werden zwölf Geschichten dieser arbeitenden Schwestern vorgestellt. Aufgenommen wurden die Gespräche von der Pekinger Sozialwissenschaftlerin Pun Ngai und der Hongkonger Arbeiteraktivistin Li Wanwei.

Die Berichte werfen ein bezeichnendes Schlaglicht auf die Arbeitswelt der aufstrebenden Weltmacht. Eine Frau erzählt, wie sie kurz nach Arbeitsbeginn einen Finger verlor, weil sie nicht richtig in den Umgang mit den gefährlichen Maschinen eingewiesen worden war. Frauen erkranken schwer, weil sie ohne jeglichen Schutz mit gefährlichem Klebstoff arbeiten müssen und über die Ursachen ihrer Krankheiten im Unklarheiten gelassen werden. Da ist auch die Geschichte von Chunmei, die an Überarbeitung starb und deren Eltern verjagt wurden, als sie vor dem Fabriktor Aufklärung über die Arbeitsumstände ihrer Tochter verlangten.

Doch es sind nicht nur Opfergeschichten, die hier präsentiert werden. Die Dagongmei werden auch als selbstbewusste Frauen vorgestellt, die der Enge des Dorf-lebens entfliehen, um in der Stadt ihr eigenes Leben zu beginnen. Darunter etwa die 50-jährige Cuiyi, die Mann und Kindern Geld zum Überleben nach Hause schickte, darauf sehr stolz war und dann doch wieder ins ungeliebte Dorf zurück musste, als die Schwiegertochter schwanger wurde.

Das Buch handelt auch von Auflehnung. Da kämpfte eine ganze Schicht erfolgreich darum, bei der monotonen Arbeit Radio hören zu dürfen. Als ein Meister ein Verbot aussprach, traten sie kollektiv in den Bummelstreik. Die letzte im Buch dokumentierte Geschichte handelt von Weizhen, die sich in einem Arbeiterinnen-Netzwerk engagiert und erfolgreich Widerstand gegen niedrigen Lohn und Arbeitshetze organisiert. Dabei beruft sie sich auf die maoistischen Gleichheitsvorstellungen, mit denen sie aufgewachsen ist.

Leider werden die Diskussionen über ein neues Arbeitsrecht, die in den letzten Jahren unter Beteiligung internationaler Arbeitsrechtler von der chinesischen Regierung geführt wurden, nur am Rande erwähnt. Dass sich im Skandal um den giftigen Klebstoff die offizielle Frauenorganisation einschaltete und auch für die Behandlung der Opfer sorgte, scheint auch hier auf ein gewachsenes Problembewusstsein hinzudeuten. Allerdings wird wohl auch in Zukunft der Druck der Dagongmei nötig sein.

Pun Ngai/Li Wanwei: Dagongmei. Arbeiterinnen aus Chinas Weltmarktfabriken erzählen. Verlag Assoziation A 2008, 260 S., 18 Euro. Weitere Geschichten und Hintergründe auf www.gongchao.org.

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