Ermunterungen

Anna Gavalda: »Alles Glück kommt nie«

  • Benjamin Jakob
  • Lesedauer: 3 Min.

Man liest sie in dreißig Sprachen. In Frankreich erzielt sie Millionenauflagen. Und das jüngste Opus soll nun allein in der deutschen Ausgabe 200 000 Mal gedruckt worden sein. Ja, Anna Gavalda ist ein Star. Hymnischer Verehrung in den Feuilletons, doch daneben steht der Totalverriss. Einige Rezensenten loben »Leichtigkeit, Eleganz und Witz«. Andere sehen »Zuckerwasserliteratur«, Rührstücke mit grotesk aufgeblasenen Banalitäten.

«Alles Glück kommt nie«: Held des Romans ist ein Pariser Architekt – Charles, 46, ein Workaholic (fast pausenlos auf Reisen), der in die Midlife-Crisis rutscht. Seine langjährige Gefährtin zeigt sich kühl (»Ich gebe dir keinen Kuß, ich habe mir gerade eine Maske gemacht«), Stieftochter Mathilde gewährt Zuwendung nur noch gegen Geldwert.

Ein Brief wirft Charles aus der Bahn, ein knapper Satz: »Anouk ist tot.« Anouk, viel älter als er, wohnte vor langer Zeit neben ihm, eine selbstlose Frau, alleinerziehend; sie bot dem Jungen Zuflucht, er verehrte sie. Nun – spät und reuevoll – sucht Charles nach Spuren von Anouk. Er findet ihren Sohn Alexis, der einst sein bester Freund war. Er findet eine neue Liebe, Kate, eine Immigrantin, die auf einer Farm entwurzelte Kinder um sich schart, und dort, bei Kate, findet Charles zu sich selbst. »Was jetzt folgt, nennt sich Glück, und Glück ist eher peinlich. Glück ist platt, abgeschmackt, boring, und immer auch anstrengend. Glück langweilt den Leser«, schreibt Gavalda. Und erzählt sie vom Glück auf dem Gutshof ... Das Buch wirkt vielschichtiger als frühere Texte der Verfasserin. Anna Gavalda porträtiert Menschen verschiedenen Alters in komplizierten Bindungen. (Der Begriff »Familie« sei ihr wichtig, sagt sie in einem Interview.) Auffällig sind diese Figuren, von kräftiger Farbe und Kontur: Anouk vor allem, Krankenschwester auf einer Notfallstation, eine Frau mit weitem Herzen und kläglichem Ende, entmutigt, einsam, depressiv. Oder Alexis, der ein begnadeter Trompeter war, dann Junkie und schließlich ein normaler Kleinbürger wurde. Oder Nounou, ein Ex-Komödiant, Bekannter von Anouk; ein Mann, der aussah, »als wäre er total plemplem«, ein uraltes Baby, »so altmodisch und doch auch so poetisch«. Oder das Mädchen Mathilde, die Stieftochter, pubertär-zickig und trotzdem Charles' Liebling. Oder Kate, gütige Fee für unschuldige Kreaturen; sie nennt den Besucher englisch »Tscharls«, schon fühlt er sich als ein anderer.

Ermunterungsbuch will das Werk sein, Wohlfühl-Belletristik. Und so gut verkäuflich wie die letzten Titel der Französin. Ein Buch mit Tempo, Schwung, mal ironisch und mal melancholisch, mit dramatisierten Dialogen, theatralisch verknappten Sätzen und bedeutungsschwangeren Leerräumen. Es gibt – das war zu erwarten – viel Herz-Schmerz, Liebesleid-Passagen in wunderlichen Bildern. Doch neben Kitsch und Konvention gibt es anrührende Szenen, die fast zu groß sind für das Genre Unterhaltungsliteratur. Ein lesenswertes Buch ist es allemal – manchmal mit Tiefgang, immer mit Gefühl.

Anna Gavalda: Alles Glück kommt nie. Roman. Aus dem Französischen von Ina Kronenberger. Carl Hanser. 640 S., geb., 24,90 EUR.

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