Von der Wiege zur Wiege

Der seltsame Fall des Benjamin Button von David Fincher

  • Hanno Harnisch
  • Lesedauer: 2 Min.

Im Hörbuch aus dem Diogenes Verlag, erschienen erst im vergangenen Monat, liest Gert Heidenreich exakt 78 Minuten: »Der seltsame Fall des Benjamin Button«, mit der gebotenen Fantasie, die dieses moderne Märchen braucht. 1922 hat F. Scott Fitzgerald seine Kurzgeschichte geschrieben über den Werdegang eines sonderbaren Babys, welches als ein alter Mann zur Welt kommt, fortan sein Leben rückwärts durchläuft, von Tag zu Tag jünger wird. Das ist skurril, lustig obendrein und überaus unterhaltsam. Und das ist auch ganz schön tragisch, weil jede Liebesbeziehung dieses Benjamin Button über kurz oder lang scheitern muss. Eigentlich ruft so ein Stoff nach Kino. Und wehrt sich gleichzeitig, Vorlage für einen Emotionsthriller mit Jahrhundertbesichtigung zu sein. Das scheint Regisseur David Fincher (»Seven«) egal gewesen zu sein. Mit Befreiung von der Vorlage, mit viel Maske und noch mehr Computeranimationen will er in diese kleine Geschichte aus New Orleans die gesamte Zeitgeschichte vom Ersten Weltkrieg bis zum heranziehenden Wirbelsturm Katrina packen.

Brad Pitt spielt den 50-jährigen Benjamin genauso furios wie den späteren Teenager. Cate Blanchett erkennt man bis zum Schluss nicht als die im Sterben liegende Daisy, die ihr Leben mit Benjamins Tagebuch noch einmal an sich (und ihrer Tochter) vorüberziehen lässt. Benjamin war ihre Liebe (und sie seine), aber zueinander kommen konnten die Königskinder, die sich in einem Altenheim, das Benjamins Leben als ausgesetztes Kinderbündel erst möglich machte, nur für begrenzte Zeit. Daisy tanzt im Paris der 30er Jahre, Benjamin wird Matrose, verzehrt sich nach der Frau eines englischen Spions (Tilda Swinton) in Russland, versenkt mit einem alten Schlepper ein feindliches U-Boot im Zweiten Weltkrieg. Seine Nachkriegsliebe mit Daisy, die nach einem Unfall nicht mehr tanzen kann, ist nicht anrührend. Sie ist nur anrührend inszeniert. Benjamin wird nicht nur jünger, er kommt nie unter seine eigene Oberfläche.

Je perfekter David Fincher ins-zeniert (und das macht er mit opulentester Detailverliebtheit), desto langweiliger wird die ganze Geschichte. Je eindrucksvoller die Bilder (ein Sonnenuntergang, den Benjamin mit seinem Vater nach langer Trennung erlebt; eine rückwärts ablaufende Kampfszene), umso banaler wird die Geschichte. Wenn Benjamin schließlich wieder zum Kleinkind, dann zum Baby wird, zieht sich die Geschichte selbst vom Erhabenen zum Lächerlichen. Ein kleiner Schritt nur in der Kunst. Dass dieserart Storys gut sind für gleich mehrere Oscarnominierungen, wen wundert's noch. Der Film ist doppelt so lang wie das feine Hörbuch, aber noch nicht einmal halb so anrührend. Einen Oscar für Gert Heidenreich bitte!

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