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»Wir brauchen eine völlig neue Rente«

Klaus Wiesehügel über Krise, Rentenpolitik und Europa

  • Lesedauer: 6 Min.
Klaus Wiesehügel ist seit 1995 Bundesvorsitzender der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU). Wie verheerend sich die wirtschaftliche Krise auf die Situation am Bau auswirken wird, entscheidet sich nach Ansicht des 55-Jährigen auch daran, wie schnell die Bundesregierung ihr Konjunkturpaket umsetzt. Mit dem gebürtigen Mühlheimer sprach für ND Ina Beyer.

ND: Wie wirkt sich die wirtschaftliche Krise auf die Lage am Bau aus?

Klaus Wiesehügel: Das wissen wir noch nicht genau. Im Moment ist der Auftragsbestand noch ganz ordentlich und unterscheidet sich nicht wesentlich vom Vorjahreszeitraum. Weil der Winter dieses Jahr recht kühl ist, kann in weiten Bereichen derzeit ohnehin nicht gearbeitet werden. Das streckt die Aufträge noch etwas. Die spannende Frage ist aber, wie es mit den Anschlussaufträgen aussieht. Entscheidend wird dabei sein, wie schnell die Bundesregierung die im Konjunkturpaket geplanten Investitionen in Infrastruktur praktisch umsetzt. Wenn in drei bis vier Monaten die ersten großen Aufträge begonnen werden können, dann lässt sich eine Krise am Bau verhindern. Wenn nicht, kommen wir ab Jahresmitte in Schwierigkeiten.

Sind Sie zufrieden mit den Konjunkturhilfen der Bundesregierung?

Von den 20 Milliarden, die wir für Investitionen in Infrastruktur und in den Baubereich gefordert haben, sind uns 18 Milliarden bewilligt worden. Das ist natürlich für uns ein gutes Ergebnis. Nicht nur kleine Firmen erhalten Geld, auch für die großen ist etwas drin. Die geplanten Investitionen in Straßenbau und Schiene halten wir für sehr vernünftig. Am meisten freut uns aber, dass unser jahrelanges Werben für Sanierungsmaßnahmen in Schulen und in Kindergärten endlich fruchtet. Der dickste Posten in dem Milliardenpaket ist dafür eingeplant.

Im März beginnen die Tarifverhandlungen für das Bauhauptgewerbe. Sie fordern sechs Prozent mehr Lohn für Ihre Kollegen – so viel wie seit 14 Jahren nicht mehr. Wird es angesichts der Krise nicht schwer, diese Forderungen bei den Arbeitgebern durchzusetzen?

Ich bin schockiert über die unlängst losgetretene Diskussion darüber, dass die Gewerkschaften jetzt auf Lohnverzicht setzen sollen, damit wir schnell aus der Krise kommen. Ich halte das für völlig kontraproduktiv. Das Konjunkturprogramm der Bundesregierung zielt eindeutig auf die Belebung des Binnenmarktes. Und der ist nur durch steigende Kaufkraft zu beleben. Lohnverzicht würde daher die Krise noch verschärfen. Wer dafür plädiert, fordert ökonomischen Unsinn.

Stellen Sie sich auf langwierige Verhandlungen ein?

Ich gehe davon aus, ja. Das liegt aber weniger an der Krise. Zu Hochkonjunkturzeiten sähe die Situation auch nicht einfacher aus. Im Arbeitgeberlager prallen mittlerweile sehr unterschiedliche Interessen aufeinander, die wir dann auch noch bedienen sollen. Untereinander streitet man sich dort oft mehr als mit uns. Es ist unter diesen Umständen enorm schwierig, alle Interessen unter einen Hut zu kriegen und für unsere Kumpels gleichzeitig ein anständiges Lohnergebnis auszuhandeln.

Meine Sorge, dass die bevorstehende Tarifrunde schwierig wird, gründet sich auf den Erfahrungen, die ich in den letzten Jahren mit dem Verhalten und der Denkweise der Arbeitgeberverbände gemacht habe.

Die Arbeitgeber werden doch aber sicher versuchen, ihre Forderungen mit Hinweis auf die wirtschaftliche Krise abzublocken.

Die Krise wird die Arbeitgeber sicher beflügeln, wieder zu sagen, dass Lohnerhöhungen nicht drin sind. Das entspricht ja auch ein bisschen der öffentlichen Meinung. Gleichzeitig wird dann aber über den zukünftigen Facharbeitermangel geklagt.

Gerade bei den mittleren Führungskräften – den Vorarbeitern, Polieren und Bauingenieuren fehlt der Nachwuchs. Dort kann der Bedarf schon jetzt nicht mehr gedeckt werden. Logisch wäre aus meiner Sicht deshalb, vernünftige Arbeitsbedingungen in der Branche zu schaffen und dazu gehört auch ein anständiger Lohn.

Beim Lohnniveau sind wir ganz klar seit Jahren abgerutscht. Der potenzielle Nachwuchs geht daher lieber in andere Branchen, wo man ein Drittel bis 40 Prozent mehr verdienen kann.

Im Herbst stehen die Bundestagswahlen bevor. Welche politischen Schwerpunkte hat sich die IG BAU im Wahljahr gesetzt?

Wir konzentrieren uns auf zwei Punkte: Rente und Europa. Diese Themen wollen wir bis in die Basis hineintransportieren und arbeiten seit Ende letzten Jahres an einem entsprechenden Konzept.

Zur Zeit schulen wir Multiplikatoren. Diese sollen dann auch auf Abgeordnete oder zukünftige Mandatsträger zugehen und sie auf Positionen festnageln.

Welche europäischen Themen haben stehen auf Ihrer Agenda?

Wir stellen mit großer Sorge fest, dass der Europäische Gerichtshof in seinen Urteilen zunehmend die Dienstleistungsfreiheit über alles andere stellt. Nationale Verfassungen oder menschliche Grundrechte werden dabei zum Teil einfach ignoriert.

Das ist ein Unding. Im vergangenen Jahr hat der EuGH beispielsweise das Tariftreuegebot gekippt, wonach sich öffentliche Auftraggeber in Deutschland verpflichten, Tariflöhne zu zahlen. Die Interessen der Arbeitgeber an günstigen Wettbewerbsbedingungen wurden dabei klar vor die Interessen der Beschäftigten gestellt. Diese Tendenz findet sich auch in anderen Urteilen. Wir fordern daher, dass in die europäischen Verträge mit aufgenommen wird, dass nationale Verfassungen von EuGH-Urteilen nicht tangiert oder gar außer Kraft gesetzt werden dürfen. Durch das Grundgesetz haben wir als Gewerkschaften ja quasi den Auftrag, Arbeitsbedingungen für Beschäftigte auszuhandeln. Das können wir uns vom EuGH nicht nehmen lassen.

Welche rentenpolitischen Forderungen stellen Sie an die Parteien?

Wir erwarten weiter von der Politik, dass sie die Rente mit 67 zurücknimmt. Minimum ist für uns, dass wir den Menschen in unserem Organisationsbereich, die in ihrem Beruf kaum die 60 erreichen, eine Perspektive geben können. Es ist bekannt, dass Arbeitnehmer in unserer Branche früher ausscheiden. Und es ist nicht hinnehmbar, dass ihnen nach einem harten, langen Arbeitsleben Hartz IV als einzige Aussicht winkt. Eine Möglichkeit, dem entgegenzusteuern, ist aus unserer Sicht, den Zugang zur Erwerbsminderungsrente wieder zu erleichtern. Im Moment ist dieser weitgehend verstellt.

Wer aus rein medizinischer Sicht noch mehr als sechs Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten kann, kriegt keine Erwerbsminderungsrente.

Wer sie beantragen kann – in der Regel geschieht das vor dem 63. Lebensjahr, muss immense Abschläge in Kauf nehmen. Auch deswegen betrug die durchschnittliche Erwerbsminderungsrente im Jahr 2007 nur rund 660 Euro.

Wir wollen, dass man von der Rente, die man bekommt, auch gut leben kann.

Lässt sich die Rente mit 67 noch verhindern?

Als die Bundesregierung ihren Entschluss dazu gefasst hat, nahm sie auf Grund des öffentlichen Drucks auch eine Revisionsklausel in das Sozialgesetzbuch VI auf. Diese besagt, dass 2010 noch einmal geprüft werden soll, was die demographische Entwicklung bis dahin ergeben hat und ob es daher nötig ist, weiter an dem Beschluss festzuhalten. Wir fordern, dass die Politik dem Sachverhalt gemäß dieser Revisionsklausel ernsthaft prüft. Die Rente mit 67 entlastet die Rentenkassen gerade mal um 0,3 Prozentpunkte. Demgegenüber hat der Rückgang der Arbeitslosigkeit die Rentenkassen richtig gut gefüllt. Die Entwicklung im Jahr 2008 hat gezeigt, dass das eigentliche Problem also nicht der demographische Wandel ist, sondern die hohe Arbeitslosigkeit, die die Rentenkassen auffrisst. Hätten alle Arbeit, müssten wir nur bis 60 arbeiten. Im Grunde ist es ein Verteilungsproblem. Statt Rente mit 67 brauchen wir Möglichkeiten, das, was wir insgesamt an Bruttosozialprodukt schaffen, besser zu verteilen.

Sie plädieren auch für eine Erwerbstätigen-Versicherung?

Nicht nur das. Wir haben schon vor einigen Jahren gemeinsam mit Wissenschaftlern ein Modell der Bürgerversicherung entwickelt. Darin fordern wir die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze, den Einbezug weiterer Einkommen, beispielsweise aus Vermögen und die Einbeziehung weiterer Bevölkerungskreise in die Finanzierung der Rente.

Wir brauchen eine völlig neu organisierte Rente, die zukunftsfähig ist. Ich bin nicht grundsätzlich dagegen, dass man die dann noch aufstockt, mit betrieblichen Renten oder durch private Vorsorge etwa. Es geht aber um das grundsätzliche System.

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