Handwerk hat türkischen Boden

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 2 Min.
Karikatur: Christiane Pfohlmann
Karikatur: Christiane Pfohlmann

Die Bildungsrevolution kommt von unten und sie hat seit Kurzem auch eine eingängige Losung: »Der Meister der Zukunft ist ein Türke«. Dass die Parole nicht von der Kultusministerkonferenz (KMK), nicht vom Bundesbildungsministerium und schon gar nicht von der Großindustrie ausgegeben wurde, sondern vom Zentralverband des Deutschen Handwerks, ist kein Zufall. Die kleinen Gewerbetreibenden und Betriebe spüren schon seit geraumer Zeit, wohin die Weigerung geführt hat, Deutschland als Einwanderungsgesellschaft zu begreifen. Etwa 15 Millionen Menschen in Deutschland haben ausländische Wurzeln. Bereits jedes vierte Neugeborene besitzt mindestens einen zugewanderten Elternteil. In vielen westdeutschen Großstädten beträgt der Anteil der Jugendlichen ausländischer Herkunft 40 Prozent, Tendenz steigend.

Im Bildungssystem bildet sich diese Realität jedoch verzerrt ab. In den Hauptschulen ist die Quote der Schüler mit Migrationshintergrund doppelt so hoch wie ihr Anteil an der Schülerschaft insgesamt. 20 Prozent dieser Jugendlichen bleiben ganz ohne Schulabschluss. Das Handwerk aber ist auf diese Schulabgänger angewiesen. So lässt sich auch die Kampagne erklären, die jetzt von der Handwerksbranche gestartet wurde.

Die Bemühungen des Handwerks werden aber solange ins Leere laufen, solange das Bildungssystem sich nicht ändert. Die geringe Quote ausbildungsfähiger Jugendlicher mit Migrationshintergrund ist nämlich in erster Linie ein systembedingter Effekt und hängt nur sekundär an der viel zitierten kulturellen Bildungsferne der Migranten. Einen Vorschlag für eine solche Bildungsreform gibt es bereits seit Längerem. Anfang des Jahrtausends wagte der Handwerkstag in Baden-Württemberg den Tabubruch und sprach sich für eine neunjährige Gemeinschaftsschule ohne Noten und Sitzenbleiben aus. Schon damals begründete das Handwerk seinen Vorschlag mit der Sorge um den fehlenden Nachwuchs. Es wäre an der Zeit, dass die Politik den Vorschlag aus der Schublade holt.

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