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»Politik muss weiterlernen«

Thüringens SPD-Chef zu Milliardenflut, Regierungsmut und Ministerpräsidenten, die die LINKE nicht stellen kann

  • Lesedauer: 7 Min.
Christoph Matschie ist seit 1999 Landeschef der Thüringer SPD und seit 2004 Fraktionsvorsitzender im Erfurter Landtag. Der 47-jährige Theologe, der 1989 Mitglied der SDP der DDR wurde, zwischenzeitlich im Bundestag saß und von 2002 bis 2004 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesbildungs- und Forschungsministerium war, will bei der Landtagswahl in Thüringen am 30. August CDU-Ministerpräsident Dieter Althaus ablösen. Wie und mit wem, erfragten am Rande einer Landtagssitzung in Erfurt Anke Engelmann und Gabriele Oertel.

ND: Noch ist das zweite Konjunkturpaket der Bundesregierung nicht verabschiedet, da streitet der Thüringer Landtag schon um die Mittelvergabe. Etwas voreilig, oder?
Matschie: Das Konjunkturpaket muss rasch greifen. Je schneller das Geld in den Kommunen ankommt, desto besser für die Arbeitsplätze. Die Thüringer SPD will da Druck ausüben, denn die CDU-Landesregierung hat bislang sehr zögerlich agiert und krasse Fehleinschätzungen getroffen. Der Wirtschaftsminister sprach von einer kleinen konjunkturellen Delle. Wir wissen heute, es wird die schärfste Rezession der Nachkriegsgeschichte. Die SPD hat schon im Herbst 2008 ein zusätzliches Landesprogramm über 100 Millionen vorgeschlagen, und das wird in Verbindung mit den Bundes-Maßnahmen jetzt kommen. Wichtig ist, dass aus dem Geld rasch Arbeitsplätze werden.

Sie plädieren für eine zweckgebunde Pauschale. Warum?
Weil das Geld so schneller in die Kommunen kommt. Der Zweck ist ja durchaus vorgegeben. Es soll vor allem Investitionen in den Bildungsbereich – in Kindergärten, Schulen, Turnhallen – und in energetische Gebäudesanierung geben. Sinnvolle Dinge, die wir ohnehin brauchen, die jetzt vorgezogen werden und Arbeitsplätze schaffen.

Und neue Straßen, Autobahnen?
Neben dem kommunalen Konjunkturprogramm gibt es zusätzliche Mittel im Bundesverkehrswegeplan. Auch da kann man Investitionen vorziehen, manches liegt schon in der Schublade.

Ist Ihnen das Jonglieren mit Milliarden nicht unheimlich, nachdem jahrelang kein Geld da war?
Freilich steht man vor all diesen Milliardenbeträgen manchmal etwas fassungslos. Der Bankenrettungsschirm mit Bürgschaften von 400 Milliarden Euro ist mehr, als in einem Bundeshaushalt steckt. Aber wir haben es eben auch mit einer unvergleichlichen Krise zu tun. Wenn Banken zusammenbrechen, sind Spareinlagen weg und Unternehmen und Arbeitsplätze massiv gefährdet. Deshalb müssen wir alles tun, um Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern. Aber wir müssen jetzt gleichzeitig dafür sorgen, dass sich auch große Vermögen und hohe Einkommen an der Finanzierung dieser Krisenmaßnahmen beteiligen. Deshalb bin ich für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer.

Populäre Forderung. Dennoch dümpelt die SPD im Umfrage-Keller. Franz Müntefering ist trotz magerer 25 Prozent überzeugt, dass die SPD den nächsten Kanzler stellt. Sie wollen Thüringens Ministerpräsident werden, obwohl Ihre Partei 2004 bei 14,5 Prozent landete. Muss man sich um die Sozialdemokraten ob ihrer Wahrnehmungsfähigkeit sorgen?
Muss man nicht. Die SPD ist in ihrer über 140-jährigen Geschichte schon oft durch Höhen und Tiefen gegangen. Die Umfragen sind zwar im Moment nicht gut, aber fast die Hälfte der Wähler hat sich noch nicht entschieden. Wir wollen dafür sorgen, dass Menschen Arbeit, Einkommen und Bildungschancen haben. Wir streiten für soziale Gerechtigkeit und dafür, dass wir heute nicht die Zukunft der Kinder verfrühstücken. Wir stehen für eine vernünftige Umweltpolitik. Diese SPD-Positionen sind mehrheitsfähig und um diese Mehrheiten werben wir. In Thüringen haben bei den Landtagswahlen drei Parteien die Chance, als Erste über die Ziellinie zu gehen.

Sie wissen aber, dass jüngste Umfragen in Thüringen CDU und LINKE gleichauf bei etwa 30 Prozent sehen, während die SPD mit 15 Prozent auf Platz 3 landet?
Das weiß ich, aber ich bin sicher, dass es uns gelingt, wieder mehr Vertrauen zu gewinnen. Bei der letzten Bundestagswahl war der Abstand der SPD zur CDU einige Monate vorm Wahltermin etwa so groß wie heute. Am Ende war es ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Ich bin sicher, das wird auch diesmal so sein.

Bei besagter Bundestagswahl holte die Thüringer SPD auf und verlor dennoch 10 000 Stimmen.
Wahlen werden am Wahltag entschieden, durch die Menschen, die wählen gehen. Veränderung ist möglich, wenn genügend Menschen sie wollen. Ich sehe für unsere inhaltlichen Positionen breite Unterstützung. Wenn diejenigen, die unsere Ziele teilen, auch zur Wahl gehen, gibt es gute Chancen für den SPD-Sieg.

Warum sollten die Wähler plötzlich nicht wahlmüde sein?
Weil sie die wachsende Notwendigkeit sehen, politisch zu handeln. Gerade in einer Krisensituation muss etwas zur Sicherung von Arbeitsplätzen getan werden. Und die Arbeit muss ordentlich bezahlt werden. Thüringen ist nach wie vor Schlusslicht bei Löhnen. Wir setzen uns deshalb dafür ein, dass den Gewerkschaften der Rücken gestärkt wird. Wir wollen außerdem Mindestlöhne durchsetzen, dafür braucht es auch Thüringens Stimme im Bundesrat. Die SPD will dafür sorgen, dass sich nicht die härtesten Ellenbogen durchsetzen, sondern dass Solidarität und Zusammenhalt in dieser Gesellschaft etwas zählt. Ich bin sicher, dass solche politischen Ziele durchsetzbar sind.

Sie hoffen also auf Rückenwind durch die Krise?
Nein. Aber ich mache die Erfahrung, dass viele Menschen neue Fragen an die Politik stellen. In den letzten Jahren haben viele gesagt, der Staat kann sowieso nichts bewegen, also brauche ich nicht zur Wahl gehen. Wir erleben heute immer mehr Menschen, die im Staat den Einzigen sehen, der eingreifen, die Krise wenden und für neue Spielregeln bei Banken und auf Finanzmärkten sorgen kann. Die wollen mit ihrer Stimme den Staat stärker machen und neue Regulierungen durchsetzen. Und dafür steht die SPD nun mal. Franz Müntefering ist vor Jahren beschimpft worden, weil er bestimmte Finanzinvestoren als Heuschrecken bezeichnet hat. Heute wissen wir, er hat nur allzu sehr Recht.

Müntefering war allerdings auch Fan der Hartz-IV-Gesetze.
Ich weiß, die Arbeitsmarktgesetze haben zu schmerzlichen Situationen geführt, aber im Kern ist die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe richtig. Keine Frage, wir haben Verantwortung für das, was wir damals beschlossen haben. Und tragen heute Verantwortung für Verbesserungen. Der Service der Jobcenter muss so gut werden, dass Menschen ihr Recht nicht erst vor Gericht erstreiten müssen. Der SPD-Vorschlag, die Regelsätze für Kinder anzuheben, ist inzwischen beschlossen. Politik muss weiterlernen. Die SPD zeigt, dass sie das tut.

Für den Umgang mit der LINKEN scheint das nicht zu gelten. Jedenfalls hat sich die Thüringer SPD eine eindeutige Koalitionsaussage verkniffen, obwohl sie die CDU ablösen will. Sie hoffen doch nicht ernstlich auf den Alleinsieg?
Natürlich ist jeder Partei am liebsten, wenn sie alleine regieren kann. Das sieht in Thüringen nicht so aus – auch nicht mehr für die CDU. Also wird es Koalitionen geben müssen. Unser Ziel ist die Ablösung der CDU-Landesregierung, weil sie schlechte Politik gemacht hat. Die SPD will dafür sorgen, dass es eine neue Regierung gibt.

Mit der SPD als Juniorpartner bei der CDU oder bei der LINKEN?
Die Wähler entscheiden, wer stärkste Partei wird. Wir werben um Stimmen und sehen gute Chancen, dass die SPD stärkste Partei wird. Ich sehe meine Aufgabe als Parteivorsitzender darin, die SPD so stark zu machen, dass sie die Regierung anführen kann.

Das beantwortet die Frage nach Rot-Rot nicht wirklich.
Wir haben gesagt, wir könnten uns eine Koalition aus SPD und LINKER vorstellen, aber nur unter Führung der SPD. Solche Modelle sind erprobt – in Berlin wie Mecklenburg-Vorpommern.

Aber in der Hauptstadt wie im Nordosten lag die LINKE hinter der SPD. In Thüringen könnte es anders werden. Und dann?
Warum sollte ich der Entscheidung der Wähler vorgreifen und Wenn-Dann-Diskussionen führen?

Sie haben von Ihrer Genossin Ypsilanti gelernt?
Andrea Ypsilanti und die hessische SPD haben viel Vertrauen verspielt, weil vor der Wahl getroffene Aussagen nicht eingehalten wurden und die Partei nicht zusammengehalten hat.

Wir haben in Thüringen unsere Mitglieder befragt. Die haben mit über 70 Prozent festgelegt, dass sie der LINKEN nicht die Führungsverantwortung in einer Regierung zutrauen. Solange die Linkspartei auf Bundesebene reine Protestpartei ist, kann sie in den Ländern nicht Ministerpräsidenten stellen.

Erst will die SPD gar nicht mit der LINKEN, dann sollen Landesverbände selbst entscheiden, jetzt gilt: Im Prinzip ja, aber ohne Ministerpräsident. Wo ist die Logik?
Im bundespolitischen Einfluss. Die LINKE muss sich entscheiden, ob sie reine Protestpartei bleibt oder ob sie auf der Bundesebene regierungsfähige Positionen entwickelt – namentlich in der Außen- und Sicherheitspolitik.

Die aber nun wahrlich nicht Brot eines Ministerpräsidenten ist ...
Irrtum. Auch ein Ministerpräsident hat erheblichen bundespolitischen Einfluss. Beispielsweise hat er als Präsident des Bundesrates auch außenpolitische Funktionen. Wie soll das gehen, wenn die LINKE den Austritt aus der NATO befürwortet oder den Lissaboner Vertrag ablehnt und damit die soziale und demokratische Weiterentwicklung der EU blockiert? Also noch einmal: Die Entscheidung über ihre Regierungsfähigkeit muss die LINKE treffen.

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