Bundessozialgericht: Kürzung der Regelleistung für Kinder verstößt gegen Grundgesetz

Hartz IV

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Die Kürzung der Hartz-IV-Gelder für Kinder auf 60 Prozent der Regelleistung verstößt laut Bundessozialgericht gegen das Grundgesetz. Die Kinder würden sowohl gegenüber ihren Eltern als auch gegenüber den Kindern von Sozialhilfeempfängern benachteiligt, heißt es in dem Beschluss.

Die Beschränkung auf einen Satz von derzeit 211 Euro verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz, sei dabei vom Gesetzgeber nicht ausreichend begründet und damit verfassungswidrig. Allerdings meldeten die Richter keine grundsätzliche Kritik an der Höhe der Regelleistung an. Die beiden umstrittenen Verfahren müssen nun dem Bundesverfassungsgericht zur endgültigen Klärung vorgelegt werden.

Geklagt hatten eine Familie aus Dortmund mit zwei Kindern und eine aus dem bayerischen Lindau mit drei Kindern. Der Anwalt der Dortmunder Familie sah die 60 Prozent als »völlig willkürlich« und zudem nicht ausreichend zur Sicherung des Existenzminimums an. »Für Essen sind 1,02 Euro am Tag vorgesehen, ein Gläschen Babynahrung kostet aber schon 1,39 Euro. Für Windeln gibt es 8 Euro; das reicht eine Woche, aber nicht einen Monat. Und mit 20 Euro im Monat kann niemand ein Kind kleiden.«

Im zweiten Fall vertrat der DGB die bayerische Familie, bei der Vater und Mutter Arbeit haben und die in einer 148 Quadratmeter großen Wohnung leben. »Aber es reicht hinten und vorn nicht, weil die Beschränkung auf 60 Prozent einfach Unsinn ist«, sagte der Anwalt. (Az.: B 14/11 b AS 9/07 R; B 14 AS 5/08 R)

Der Senat sah letztlich eine »Annahme von Verfassungswidrigkeit«, weil die derzeitige Regelung gegen den Gleichheitsgrundsatz der Verfassung verstoße. Ohne dass für Kinder der Bedarf ermittelt und definiert worden sei, habe der Gesetzgeber den Hartz-IV-Satz für Kinder um 40 Prozent gekürzt. Zudem könnten Kinder von Sozialhilfeempfängern mehr Geld erhalten, während der Satz bei Kindern von Arbeitssuchenden auf die heutigen 211 Euro pauschaliert worden sei. Zum dritten sei die Höhe des Sozialgeldes für alle Kinder bis 14 Jahren gleich, ohne dass Altersunterschiede berücksichtigt seien.

Nach Auffassung des Senats kann der Gesetzgeber im »grundrechtssensiblen Bereich« des Existenzminimums für Kinder den Regelsatz nur nach detaillierter Ermittlung festsetzen. Nur dann könne das Gericht entscheiden, ob der Satz von einst 207 und mittlerweile 211 Euro noch im Ermessensspielraum des Gesetzgebers liege. Allerdings betonten die Richter, dass es dabei nur um die Kürzung des Kinderbetrags auf 60 Prozent gehe.

An der Rechtmäßigkeit des Hartz-Satzes für Erwachsene in Höhe von 351 Euro bestehe kein Zweifel.

Auch die Kritik an der 60-Prozent-Regel lasse nicht den Schluss zu, dass der Betrag von damals 207 Euro »in jedem Fall als nicht ausreichend« anzusehen sei, um den Lebensunterhalt zu sichern. Demnach müsste sich der Satz nicht erhöhen, wenn Bundesregierung und Bundestag das derzeitige Sozialgeld rechnerisch untermauern.

Ohnehin sei im Konjunkturpaket II vorgesehen, den Kindersatz bei 7- bis 13-Jährigen zum 1. Juli von 60 auf 70 Prozent zu erhöhen.

Hartz IV: Wer bekommt was?
Vor vier Jahren wurde bekanntlich mit dem Sozialgesetzbuch II die Arbeitslosenhilfe abgeschafft. Arbeitslose bekommen seither nach einem Jahr Hartz IV, eine Monats-Pauschale, ergänzt um Miete und Nebenkosten. Doch nicht alle bekommen das gleiche:

Die GRUNDLEISTUNG betrug anfangs 345, heute sind es 351 Euro. Diesen Regelsatz bekommen Alleinstehende, um damit ihren gesamten Lebensunterhalt, abgesehen von der Wohnung, zu bestreiten.

In BEDARFSGEMEINSCHAFTEN ist es egal, ob zwei Menschen verheiratet sind oder ob sie nur zusammenleben. Beide bekommen dann 90 Prozent des Regelsatzes, also zusammen etwa 630 Euro.

Einem KIND bis 14 Jahre gesteht der Gesetzgeber 60 Prozent von Hartz IV zu, also 211 Euro. Zum 1. Juli soll dieser Wert bei 7- bis 13-Jährigen auf 70 Prozent steigen, also auf 246 Euro. Jugendliche erhalten schon jetzt 80 Prozent des Regelsatzes, also 281 Euro. Künftig sollen Schüler 100 Euro im Jahr extra bekommen.

ALLEINERZIEHENDE erhalten zur Regelleistung von 351 Euro noch einen Aufschlag von 36 Prozent. Somit käme eine Mutter mit einem Kind auf etwa 690 Euro.

Eine FAMILIE mit zwei Kindern könnte über knapp 1060 Euro verfügen. Hinzu kämen immer Miete und Mietnebenkosten.

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