»Mit Illegalen muss man böse sein«

In Italien grassiert der Rassismus: Ausländer gelten als Sicherheitsrisiko

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 7 Min.
Die Apenninhalbinsel ist zu einer Hochburg des Rassismus geworden – in der Bevölkerung, in der Gesetzgebung, in den Institutionen.

Navtej Singh Sidho ist 35 Jahre alt und kommt aus Indien. Er ist seit ein paar Jahren in Italien, wo er sich als Maurer durchschlägt. Jetzt lebt er in Nettuno, einem kleinen Städtchen vor den Toren Roms.

Am Abend des 1. Februar legt sich der obdachlose Inder mit einer Decke auf eine der Steinbänke des kleinen Bahnhofs von Nettuno. Mitten in der Nacht kommen drei junge Männer vorbei; erst verprügeln sie den Fremden, dann holen sie sich irgendwo eine Farbdose und eine Flasche Benzin. Sie sprühen dem Wehrlosen Farbe ins Gesicht, kippen das Benzin über seine Beine, dann zünden sie ihn an.

Seit jener Nacht schwebt Navtej Singh Sidho in Lebensgefahr. Er hat schwere Verbrennungen an über 40 Prozent des Körpers. Man hat ihn ins künstliche Koma versetzt, weil die Schmerzen unerträglich sind; ob er durchkommen wird, ist noch nicht klar.

Am nächsten Tag tritt Innenminister Roberto Maroni vor die Presse. Er verurteilt das, was geschehen ist, meint aber, dass es mit Rassismus nichts zu tun habe. »Dahinter steckt etwas viel Schlimmeres«, sagt er wörtlich, nämlich der allgemeine »Werteverlust«. Und fast im gleichen Atemzug erklärt er, dass man mit den »Illegalen« – schätzungsweise eine halbe Million in Italien – »nicht gut, sondern böse sein muss«.

Sprechstunde für Denunzianten

Maronis Regierungs- und Parteikollege Roberto Calderoli von der Lega Nord drückt das so aus: »Solche Episoden sind nicht schön, aber …« und meint dann, dass Italien von Ausländern überschwemmt ist und dass in Krisenzeiten eben die Italiener wichtiger als die Ausländer sind. An »regulären« Ausländern gibt es in Italien etwa vier Millionen.

In Turate, einem großen Dorf mit 9000 Einwohnern in der Nähe von Como in Norditalien, hat Bürgermeister Leonardo Ambrogio Carioni mit großem Pomp ein neues Bürgerbüro eingerichtet. Es ist immer donnerstags geöffnet, von 12.30 bis 15.30 Uhr, extra in der Mittagszeit, damit auch wirklich alle Bürger die Zeit finden können, hierher zu kommen. Die einzige Bestimmung der Anlaufstelle: Hier kann man »suspekte Ausländer« melden, Personen, die sich in der Gegend herumtreiben und vielleicht keine Aufenthaltsgenehmigung haben. Damit es den Einwohnern noch leichter fällt, ihre Bürgerpflicht zu erfüllen, dürfen sie ihre Meldung mit Unterschrift, aber auch anonym abgeben. Das Personal nimmt alles entgegen.

Von Rassismus will Bürgermeister Carioni nichts wissen: »So wollen wir zum Beispiel auch verhindern, dass skrupellose Menschen Zimmer oder Wohnungen zu überhöhten Preisen an Ausländer ohne Aufenthaltsgenehmigung vermieten, die dann vielleicht zu zehnt in zwei kleinen Zimmern hausen. Aber wir möchten auch, dass die Illegalen ihre Lage überdenken und einsehen, dass sie auf den Pfad der Legalität zurückkehren sollten.« Gefragt, ob man im Ort denn schlechte Erfahrungen mit Ausländern gemacht habe, antwortet er: »Bei uns gab es einige Wohnungseinbrüche. Aber ich will natürlich nicht sagen, dass die von Illegalen verübt wurden.«

Für gute Integration der Ausländer ist auch der Oberbürgermeister von Rom, der ehemalige faschistische Schläger Gianni Alemanno. Er hat die Kindergärten angehalten, nicht mehr als fünf Ausländer pro Gruppe anzunehmen. Sollten doch mehr angemeldet werden, will man die Kinder »in Überzahl« auf andere Gruppen, andere Kindergärten, auch in anderen Stadteilen, verteilen. Das alles dient laut Alemanno der »Integration«. Wenn man also dreijährigen Kindern und ihren Eltern lange Anfahrtswege zumutet, sie aus ihrer gewohnten Umgebung reißt, von ihren Freunden, gleich welcher Nationalität trennt, ist das eine Integrationsmaßnahme.

Nicht anders als die Einrichtung von »Sonderklassen für Ausländer«, die von Bildungsministerin Mariastella Gelmini beschlossen wurde. Damit sie schneller Italienisch lernen, werden Kinder und Jugendliche mit Sprachschwierigkeiten in gesonderten Klassen zusammengefasst, wo sie »besonders gefördert« werden können. Die Erkenntnis von Lehrern und Erziehungswissenschaftlern, wonach man auf diese Weise genau das Gegenteil erreicht und wonach erwiesen ist, dass man die Sprache am besten lernt, wenn man sich möglichst viel in einem italienischsprachigen Umfeld aufhält, tut sie als »überholte und linke Pädagogik« ab.

In den letzten Monaten sind in Italien ungezählte solcher rassistischen oder ausländerfeindlichen Normen und Gesetze verabschiedet worden. Sie treffen die »Illegalen«, aber auch diejenigen, die sich völlig legal im Mittelmeerland aufhalten. Derzeit wird im Parlament über ein neues »Sicherheitspaket« diskutiert. Darin geht es in erster Linie um »Ausländer«, wodurch schon nahe gelegt wird, dass Ausländer – egal woher und aus welchen Gründen sie gekommen sind – ein Sicherheitsrisiko darstellen. Unter anderem ist eine »Sonderabgabe« von etwa 200 Euro für die Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung vorgesehen. Unabhängig von den 70 Euro Gebühren, die schon jetzt zu entrichten sind.

Für diesen Stempel, der einmal pro Jahr fällig ist, müssen sich die Betroffenen – Kinder übrigens eingeschlossen – manchmal mehrere Tage nacheinander morgens um vier Uhr anstellen und verlieren dabei noch ihren Tageslohn. Die Ausländerbüros, vor allem in größeren Städten, sind ineffizient und unterbesetzt. Und wenn das überlebenswichtige Papier irgendwann ausgestellt wird, ist es nicht selten bereits wieder abgelaufen…

Weiter heißt es in dem Paket, dass Eltern, deren Kinder beim Betteln oder Klauen erwischt werden, automatisch die Erziehungsberechtigung verlieren. Die Kinder werden ihnen weggenommen und in Waisenhäuser gesteckt. Ausländern, die einen italienischen Staatsbürger heiraten wollen, wird die Eheschließung erschwert. Man könnte schon fast von einer »parallelen Gesetzgebung« sprechen, von einer Sondergesetzgebung für Ausländer, was an dramatische Zeiten erinnert.

Der »falsche« Täter – ein Italiener

Auch die Medien sind von diesem rassistischen und ausländerfeindlichen Klima nicht ausgeschlossen. Die »Padania«, Parteizeitung der Lega Nord, ist dafür bekannt, dass sie Araber als »Beduinen« und Muslime als »Terroristen« bezeichnet – und Rumänen mit Roma verwechselt. Aber der Rassismus-Virus hat auch die so genannte »ernsthafte« Presse angesteckt. Selbst bei Verkehrsunfallmeldungen wird zwischen »Italienern« und »anderen« unterschieden. Dann heißt es etwa: »Tunesier tötet auf Fußgängerübergang italienische Frau« oder »Wagen mit vier möglicherweise betrunkenen Albanern an Bord rammt ein Motorrad, das von einem Italiener gefahren wird«.

Bei anderen Straftaten ist das noch ausgeprägter: »Rumäne vergewaltigt italienisches Mädchen«. Gerade bei Sexualdelikten geht man fast selbstverständlich davon aus, dass das Opfer »italienisch« und der Täter »Ausländer« ist. Anderenfalls ist die Bestürzung groß. Als sich zum Beispiel herausstellte, dass in der Silvesternacht eine junge Italienerin nicht – wie angenommen – von einem »Illegalen«, sondern von einem Italiener, sogar einem »aus gutem Hause«, vergewaltigt worden war, fragte sich die Kabarettistin Elle Kappa sarkastisch, ob das Opfer eigentlich wisse, was es für ein Glück gehabt habe.

Nicht einmal die Opposition kann sich diesem rassistischen Sumpf gänzlich entziehen. Besonders im Bereich der so genannten Sicherheit lässt sie sich die Tagesordnung häufig von der Rechten schreiben. Erst kürzlich ließ die Demokratische Partei in ganz Italien ein Plakat kleben, auf dem steht: »Berlusconi belügt euch. Unter seiner Regierung sind 40 000 Illegale auf der Insel Lampedusa gelandet. Unter Prodi waren es nur 20 000.« Womit suggeriert wird, dass eine »gute« Regierung weniger Ausländer ins Land lässt.

Initiativen werden totgeschwiegen

Sicherlich stimmt die Demokratische Partei im Parlament gegen die ausländerfeindlichen Gesetze und sicher prangert sie auch die eklatantesten Episoden von Rassismus an. Aber die wichtigsten Initiativen, die es in der Gesellschaft gegen dieses Klima gibt, finden ohne sie statt. Von den großen Gewerkschaften hat sich nur die CGIL und vor allem die Metallgewerkschaft FIOM den Kampf gegen die Ausländerfeindlichkeit auf ihre Fahnen geschrieben. Trotzdem gibt es ungezählte Initiativen gegen Rassismus, die von den unterschiedlichsten Gruppierungen – darunter auffällig viele Frauen – organisiert werden.

Allerdings werden sie von der Presse nicht wahrgenommen. Als kürzlich in Rom etwa 20 000 Menschen gegen das so genannte Sicherheitspaket auf die Straße gingen, brachte das Fernsehen überhaupt nichts darüber. Und auch die großen Zeitungen, selbst diejenigen, die der Opposition nahe stehen, ignorierten den Fakt oder handelten ihn mit wenigen Zeilen unter »ferner liefen« ab.

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