Knochen-Orakel

Leipziger Forscher entziffern Neandertaler-Erbgut

  • Lesedauer: 3 Min.

Leipzig (AFP/ND). Als im August 1856 Steinbrucharbeiter in einer Grotte bei Mettmann Knochenteile des Neandertalers fanden, warf dies Fragen auf, die bis heute nicht beantwortet sind. Zwar haben die Forschungen gezeigt, dass die Neandertaler nur ausgestorbene, nahe Verwandte des heutigen Menschen waren und nicht – wie lange angenommen – unsere direkten Vorfahren. Doch welche Rolle hat der Neandertaler in der Evolution des modernen Menschen gespielt? Forscher aus Leipzig sind der Antwort nun ein Stück näher gekommen: Gemeinsam mit Experten aus den USA haben sie eine »Rohfassung« des kompletten Neandertaler-Genoms fertiggestellt.

Die Neandertaler lebten mindestens 300 000 Jahre lang in ganz Europa und Teilen Asiens, bevor sie vor etwa 30 000 Jahren ausstarben. Das Neandertaler-Genom könnte den Schlüssel dazu liefern, welche genetischen Veränderungen auf dem Weg zum Homo sapiens entscheidend gewesen sind und schließlich dazu geführt haben, dass dieser sich vor etwa 100 000 Jahren von Afrika aus über die gesamte Welt verbreiten konnte. Projektleiter Svante Pääbo vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie stellte am Donnerstag gemeinsam mit anderen Forschern den Entwurf des Neandertaler-Erbguts erstmals öffentlich vor.

Für die Forschung mussten gleich mehrere Neandertaler ihre Knochen herhalten. Der Großteil der untersuchten DNA stammt von einem etwa 38 000 Jahre alten Fossil, das 1980 in einer Höhle in Kroatien entdeckt wurde. Außerdem analysierten die Forscher Knochenfunde aus Spanien und dem Kaukasus. Auch der vor mehr als 150 Jahren im Neandertal gefundene Namensgeber unseres ausgestorbenen Verwandten steuerte eine DNA-Probe bei.

Gemeinsam mit der US-Firma »454 Life Siences« haben die Leipziger Forscher mehr als drei Milliarden DNA-Fragmente aus Neandertaler-Knochen analysiert, die mehr als 60 Prozent des Genoms abdecken. Aus diesen DNA-Stückchen haben die Forscher nun das Erbgut zusammengebaut.

Die DNA von Fossilien zu analysieren ist eine technische Herausforderung. Stirbt ein Organismus, werden seine Zellen von Bakterien und Pilzen überrannt. Ein Großteil der Erbinformationen wird zerstört. Der geringe Teil, der übrigbleibt, zerfällt im Laufe der Zeit in kleine Stücke und wird chemisch verändert. Ein Großteil der vorgefundenen DNA stammt also nicht von dem Fossil, sondern von Mikroorganismen oder sogar von Forschern selbst, die mit den Knochen hantiert hatten. Die US-Experten entwickelten eine neue Technologie, um auch die wenigen kurzen erhaltenen DNA-Stücke analysieren zu können. »Die nun hergestellte erste Version des Genoms konnte mit weniger als einem halben Gramm Knochen erzeugt werden«, berichtet Pääbo.

Vor den Forschern liegt jetzt aber noch eine weitere knifflige Aufgabe. Sie wollen das entzifferte Neandertal-Genom mit den bereits entschlüsselten Genomen von Menschen und Schimpansen vergleichen, um festzustellen, »wie das Genom der ausgestorbenen Neandertaler von dem des heutigen Menschen abweicht«, erklärt Pääbo, der dafür Experten aus aller Welt zusammengetrommelt hat. »Vorläufige Ergebnisse deuten allerdings darauf hin, dass Neandertaler, wenn überhaupt, nur einen sehr geringen Anteil zu der bei den heutigen Menschen gefundenen Varianz beigetragen haben«, betont Pääbo.

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