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»Gescheitert ist jede Generation«

Hans-Dieter Schütt im Dialog mit dem österreichischen Schriftsteller Robert Menasse

  • Adelbert Reif
  • Lesedauer: 6 Min.
Das Titelporträt von Robert Menasse stammt von Marko Lipus
Das Titelporträt von Robert Menasse stammt von Marko Lipus

Ob Thomas Bernhard, Peter Handke oder Elfriede Jelinek, ob Peter Turrini, Gerhard Roth oder Josef Winkler – diese und andere zeitgenössische Autoren Österreichs haben etwas gemeinsam: ein aus persönlicher negativer Erfahrung gewonnenes Leiden an sich selbst, an der politischen Wirklichkeit und den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen in ihrem Land. Zumindest empfindet der nichtösterreichische Leser diesen zwischen Zorn, ohnmächtiger Wut und bitterem Sarkasmus sich äußernden Leidensdruck besonders stark.

Auch der 1954 in Wien geborene Robert Menasse, spätestens seit seinem 2001 erschienenen Roman »Die Vertreibung aus der Hölle« einer der wortmächtigsten und wichtigsten Schriftsteller des »Landes ohne Eigenschaften« (Menasse), gehört zu diesen Leidenden. Mit ihm, dem sich vordergründig zwar liebenswürdig und verbindlich, ja gelegentlich sogar humorvoll zeigenden, aber in allen wesentlichen politischen und gesellschaftlichen Belangen ungemein scharfzüngig argumentierenden und urteilenden Autor, hat Hans-Dieter Schütt über mehrere Monate in Wien Gespräche geführt, die er nun, angereichert mit fünf Texten Menasses, in einem Band versammelt, vorlegt.

Schon der sympathische Titel des Buches »Die Erde ist der fernste Stern« lässt ahnen, dass sich die Gespräche zwischen Schütt und Menasse keineswegs nur um den Mini-Kosmos »Österreich« bewegen, sondern über weite Strecken grundsätzliche menschliche und gesellschaftliche Probleme und insbesondere – wie könnte es bei einem deutschsprachigen Autor anders sein? – auch deutsche Befindlichkeiten zum Gegenstand haben. Doch selbst dort, wo das scheinbar »spezifisch Österreichische« zur Diskussion gestellt wird – etwa die Befürwortung staatlicher autoritärer Strukturen durch einen Teil der österreichischen Öffentlichkeit –, lassen sich ähnlich artikulierte Wünsche heute ebenso in allen deutschen Schichten ausmachen.

»Ich versuche das zu schreiben, was ich als richtig empfinde«, erklärt Menasse mit Bestimmtheit, obwohl er sich gerade wegen seiner zeit- und landeskritischen, keine Tabus scheuenden Stellungnahmen oft heftigen, von blankem Hass diktierten öffentlichen Anfeindungen ausgesetzt sieht. Auch im Dialog mit Schütt hält Menasse mit seinen unkonventionellen Ansichten nicht hinter dem Berg. Da beschäftigt ihn zum Beispiel das sehr aktuelle Problem der »postfaschistischen Moderne«, des heute zu beobachtenden »Vergessens der Erfahrung des Faschismus«: »Der war doch nicht nur ein geistesgeschichtliches oder ästhetisches Phänomen, sondern vollzog eine Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik, die jetzt auch wieder vollzogen wird«, stellt Menasse fest und nennt als Stichworte unter anderem: Steuerbefreiung für große Unternehmen und Konzerne, sozialpolitische Einsparungen, Investitionen in die Rüstung, Verlängerung der Arbeitszeiten, Lohnkürzungen. Hinzu kommen die Propagierung äußerer Bedrohungsszenarien, »um innergesellschaftliche Solidarität herzustellen« und der rapide Abbau von Persönlichkeitsrechten unter dem Vorwand der Sicherheit. Menasse sieht darin eine deutliche Entwicklung hin zum autoritären Staat und vertritt denn auch die pessimistische Ansicht, dass er »den Abschied von der landläufigen bürgerlichen Demokratie noch erleben werde«. Fällt das Stichwort »Globalisierung«, sieht Menasse die Weltgesellschaft, »gestrandet in einer voraufklärerischen Welt«, ohne Alternative: »Denn anders als bei Hegels Weltgeist oder gar Marx' Geschichtsideologie wissen wir nichts vom Ende der Globalisierung. Sie verspricht nichts, sie erklärt nicht einmal die Notwendigkeit heutigen Leidens mit der Perspektive künftiger Befreiungen. Sie drückt uns, indem sie Alternativlosigkeit behauptet, wieder zurück in ein auswegloses Schicksal.« Im Grundsätzlichen, so scheint es, versteht sich Menasse als Pessimist – und dies speziell im Hinblick auf das Tun und Lassen des Menschen: »Am Ende steht immer das Scheitern. Gescheitert ist jede Generation. Es hat noch keine den Hintereingang des Paradieses gefunden.«

Umso unbegreiflicher erscheint Menasse die blinde Gläubigkeit, mit der die europäischen Medien und ein großer Teil der Öffentlichkeit »nach wie vor ausgerechnet die Vereinigten Staaten von Amerika als Führungsmacht der demokratischen Welt« anerkennen. »Die führende demokratische Macht: ein Land, in dem die Hälfte der Bevölkerung nicht wählen geht, weil Millionen keine Wahlkarte haben, weil sie Probleme haben, überhaupt ihre Existenz nachzuweisen, weil ihnen die paar Dollar fehlen, um eine solche Karte einzulösen. Ein Land, in dem Millionen keine Sozialversicherungskarte besit- zen ... Wie kann das allen Ernstes in Europa als politische Supermacht der Demokratie hofiert werden?!«

An mehreren Stellen kommen Schütt und Menasse auch auf die DDR zu sprechen. Obwohl Menasse »kein Freund der DDR« war, wie Schütt ausdrücklich festhält, habe er zum Mauerfall 1989 »sehr polemisch eine Paradoxie verfochten: die Mauer abtragen, aber den Staat nicht preisgeben«. Dieser »Paradoxie« hängt Menasse noch heute an und bezeichnet es als »eine irrwitzige Einzigartigkeit in der Geschichte«, dass »ein Staat einfach aufgegeben wird, nur weil es einen Nachbarstaat gibt, der dieselbe Sprache spricht ... Man hätte die DDR als eigenen Staat erhalten und den deutsch-deutschen Kontext durch den EU-Beitritt wieder herstellen können ...«

Nicht weniger vehement ablehnend äußert sich Menasse zum Abriss des »Palast der Republik« in Berlin: »Man reißt den Palast ab, weil man das Zeichen einer Diktatur tilgen will. Man will aber das Stadtschloss wieder aufbauen, was somit den Kontext bekommt, der Feudalismus sei im Gegensatz zum Honecker-Staat frei von Verbrechen gewesen.«

Dass in ihren Dialogen auch Literarisches angesprochen wird, versteht sich bei Schütt und Menasse von selbst. Wenn Menasse an einer Stelle vom »Vorabendgefühl als wichtigem Kriterium für gute Literatur« spricht, will Schütt wissen, wie es sich denn da mit der DDR-Literatur verhalte, »die in erster Linie Aufbruchsliteratur war, sein wollte«. Menasse verweist gerade auf »Die Aula« von Hermann Kant als positives Beispiel. »Was erfahren wir aus dem Roman?«, fragt er. »Wir ahnen den Vorabend des Untergangs der hohen Ideale, ihren Verschleiß in der Praxis. Deswegen ist ›Die Aula‹ ein starker Roman. Denn am Ende, im Abschlussmonolog des Arbeiters, der Funktionär werden wird, löst sich alles in Phrasen auf. Ich glaube nicht, dass Hermann Kant wirklich wusste, was er da am Ende vollbrachte.« Und Menasse fügt hinzu: »Aber ein gutes Buch ist klüger als sein Autor.«

Das Faszinierende an den Dialogbänden von Hans-Dieter Schütt – erinnert sei hier nur an seine erst kurze Zeit zurückliegenden Gespräche mit dem Wiener Bildhauer und Grafiker Alfred Hrdlicka (»Stein Zeit Mensch«) oder dem Wittenberger Theologen Friedrich Schorlemmer (»Die Welt hinter den Fragen«) – besteht nicht zuletzt darin, auf welche Weise es ihm immer wieder gelingt, seine in den meisten Fällen sehr interviewerfahrenen Gesprächspartner zu neuem Nachdenken anzuregen und ihnen frische Antworten abzufordern.

So auch hier bei Robert Menasse: Gleichgültig, welche Seite des Buches man aufschlägt, stets stößt man auf anregende, herausfordernde und natürlich auch Widerspruch gebietende Gedanken und Ansichten zu brennenden Fragen unserer Zeit. Dabei ist Schütt immer dann besonders erfolgreich, wenn das jeweils zur Rede stehende Thema weniger theoretisch, weniger abstrakt behandelt wird, sondern die Gespräche sozusagen mitten ins Leben, in die Realität greifen und biografische Elemente einschließen.

Hans-Dieter Schütt: Die Erde ist der fernste Stern. Gespräche mit Robert Menasse. Karl Dietz Verlag. 200 S., brosch., 9,90 EUR.

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