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»Ich musste ehrlich sein«

Oscar-Preisträgerin Kate Winslet über ihre Rolle in »Der Vorleser«

  • Lesedauer: 4 Min.
Kate Winslet ist als beste Hauptdarstellerin mit dem Oscar ausgezeichnet worden. Die 33-jährige Britin erhielt die begehrte Trophäe in der Nacht zum Montag für ihre Rolle in »Der Vorleser« nach der Romanvorlage des deutschen Autors Bernhard Schlink. Für das ND sprach Kira Taszman mit ihr.

ND: Wie war es für Sie, diese Rolle zu spielen und welche Meinung hatten Sie zu Ihrer Figur Hanna Schmitz?

Kate Winslet: Ich hatte große Angst sie zu spielen, weil sie so eine komplizierte Figur ist. Außerdem war es eine riesige Verantwortung, denn »Der Vorleser« ist ja ein beliebtes Stück deutscher Literatur. Ich musste die Rolle einfach richtig hinbekommen und stellte mir eine Menge Fragen: Bin ich gut genug? Habe ich als Schauspielerin genügend Wissen und Talent? Solche Fragen stelle ich mir bei jeder Figur, aber zu Hanna konnte ich einfach überhaupt keinen Bezug herstellen. Das ist sehr beängstigend für eine Schauspielerin.

Inwiefern?

Man braucht ein paar Dinge, zu denen man einen Bezug hat. Aber bei Hanna war einfach nichts. Zudem haben alle Menschen eine Meinung über Hanna Schmitz. Wenn jemand bei diesem Film über Hanna sprach, ging diese Person stets davon aus, dass alle anderen ihre Meinung teilten. Das hat mich verrückt gemacht. Hätte ich meine Meinung offengelegt, hätten die anderen das gewertet. Dann hätte ich mein eigenes Urteil und meine eigenen Instinkte hinterfragen müssen.

Wie sind Sie die Rolle dann angegangen?

Ich wusste, dass ich sie nicht vermenschlichen konnte, aber ich musste sie trotzdem als Menschen darstellen. Ich musste ehrlich sein. Ich konnte sie nicht als das Monster, den Nazi oder als die Analphabetin spielen. Sie war eine Frau, die diese beiden enormen Geheimnisse mit sich herumtrug. Andererseits musste sie auch eine Frau sein, die zu großer Wärme, Liebe und Mut fähig war. Das machte es so kompliziert. Meine eigene Meinung konnte ich niemandem mitteilen. Weder dem Regisseur Stephen Daldry, noch meinem Mann. Ich bin zu ein paar sehr persönlichen Schlüssen über Hanna gekommen. Aber ich kann nicht alles preisgeben.

Haben Sie sich dadurch besser gefühlt, dass Sie die Herausforderung angenommen haben?

Ja, aber die letzten Drehtage waren hart. Alle Liebesszenen wurden in diesem Zeitraum gedreht und außerdem viele Szenen, in denen ich die gealterte Hanna spiele. An einem Tag war ich 68 und am nächsten Tag war ich die junge Hanna, die Liebeszenen mit David Kross drehte. Als ich wieder nach Hause kam, hat mich mein Mann festgehalten, als sei ich ein kleiner Vogel. Ich habe vor lauter Stress abgenommen und einfach alles, was in mir war, in die Figur geworfen. Den Schatten dieser Rolle trug ich noch lange mit mir herum. Emotional hat sie mir so viel abverlangt, dass es weh getan hat.

Interessieren Sie sich für deutsche Geschichte?

Meine Kenntnis deutscher Geschichte war beschämend gering. Ich habe schon mit 16 angefangen zu drehen, kurz nachdem ich die Schule verlassen hatte. Dadurch hatte ich immer das unsichere Gefühl, dass ich über nichts Bescheid wusste. Also musste ich mich selbst bilden. Ich wusste viel, aber nicht genug. Die zweimonatige Vorbereitung für »Der Vorleser« war für mich wie das Büffeln vor einer Prüfung: Ich wollte so viele Informationen wie möglich. Als erstes, nachdem ich in Deutschland gelandet war, besuchte ich das Holocaust-Mahnmal. Es war überwältigend.

Sie haben als Schauspielerin schon so viel erreicht. Würden Sie sich gerne andere Betätigungsfelder suchen, etwa als Drehbuchautorin oder Regisseurin?

Ich wünschte, ich könnte schreiben. Aber ich bin mehr in die Idee des Schreibens als in das eigentliche Schreiben verliebt. Mit brennender Kerze um zwei Uhr morgens über etwas zu brüten und nur eine Zeile schreiben zu können. Aber ich weiß nicht, ob ich das Zeug dazu habe. In den vergangenen vier oder fünf Jahren hatte ich sehr viel Glück mit meinen Regisseuren Michel Gondry, Sam Mendes oder Stephen Daldry. Durch sie habe ich das Selbstbewusstsein aufgebracht zu sagen: »Ich habe einen Vorschlag, was haltet ihr davon?« In »Der Vorleser« ist eine Idee von mir. Da hat sich der Regisseur geärgert, dass er sie nicht selber hatte.

Was kommt für Sie als nächstes?

Nach meinen beiden intensiven Rollen in »Zeiten des Aufruhrs« und »Der Vorleser« weiß ich nicht, was ich jetzt tun soll. Ich kann nicht ohne weiteres wieder mit der Arbeit beginnen. Ich würde wirklich mies sein, weil ich mit den letzten beiden Rollen einfach alles aus mir herausgeholt habe. Ich werde jetzt einmal ein paar Monate Pause machen.

Haben Sie schon darüber nachgedacht, wo Sie Ihren Oscar hinstellen?

Nein, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Für mich ist es auch eine neue und aufregende Erfahrung, tatsächlich etwas zu gewinnen. Dass der Umschlag geöffnet wird und mein Name genannt wird. Das ist überwältigend. Ich habe im vergangenen Jahr viel Glück gehabt.

Selbst wenn ich in Zukunft nichts mehr gewinnen sollte, werde ich mich trotzdem sehr glücklich fühlen mit dem was ich erreicht habe.

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