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Damenwahl mit Protektion

In Deutschland eroberten sich die Frauen spät die Spitzenämter

  • Ralf Höller
  • Lesedauer: 4 Min.
»Wahre Emanzipation«, schrieb Alice Schwarzer, »ist das gelegentliche Aufrücken total unfähiger Frauen in verantwortliche Posten.« Angela Merkel fiel für die Emma-Chefredakteurin nicht in diese Kategorie: Die Journalistin hatte es der im unionsinternen Duell mit Edmund Stoiber Unterlegenen lange Zeit nicht zugetraut, es an die Regierungsspitze zu schaffen.

Schuld am langen Weg Merkels an die Regierungsspitze waren in Schwarzers Augen einflussreiche Herren in der christdemokratischen Partei: Die hätten die aussichtsreiche Bewerberin zunächst weggemobbt: »Ein Herr Merkel wäre selbstverständlich CDU-Kanzlerkandidat geworden.«

Der verhinderten Herausforderin Schröders gab Schwarzer eine gewisse Mitschuld: »Frau Merkel scheint geglaubt zu haben, die Männer hätten vergessen, dass sie eine Frau ist – und hat auch selbst versucht, es zu vergessen. Was sie einsamer und schwächer gemacht hat.« Ob es daran liegt, dass die an der Regierungsspitze angelangte Merkel sich mittlerweile fraulicher gibt oder Unionsmänner nicht mehr mobben: Schwarzer hat in ihrem soeben erschienenen Buch »Damenwahl: Vom Kampf um das Frauenwahlrecht bis zur ersten Kanzlerin« ihren Frieden mit Geschichte und Gegenwart gemacht. Merkel schrieb das Geleitwort.

Zwischen den ersten Demonstrationen am 8. März 1910 bis zum Einzug Merkels ins Bundeskanzleramt liegt eine Spanne von mehr als neun Jahrzehnten. Dabei waren die Anfänge in der Weimarer Republik durchaus ermutigend: Bei den Reichstagswahlen am 19. Januar 1919 durften Frauen in Deutschland nicht nur erstmals wählen. Sie kamen auch in den Genuss des passiven Wahlrechts. So zogen exakt einen Monat später 37 weibliche Abgeordnete ins Parlament ein. Als erste von ihnen meldete sich die Sozialdemokratin Marie Juchacz in der Nationalversammlung mit der legendären Anrede »Meine Herren und Damen!« zu Wort.

In anderen Staaten kamen Frauen schneller an die Macht als hierzulande. Auf den ersten Blick überrascht die Tatsache, dass es sich hierbei nicht um europäische Länder handelt. Den Anfang machte Sirimavo Bandaranaike: Als ihre Heimatinsel offiziell noch Ceylon hieß, wurde sie als weltweit erste Frau in das Amt des Premierministers gewählt. Das war 1960. Sechs Jahre später folgte ihr etwas weiter nördlich Indira Gandhi ins Ministerpräsidentenamt.

Doch war der Aufstieg der beiden Frauen im heutigen Sri Lanka und in Indien weniger der Emanzipationsbewegung als familiärer Protektion geschuldet. Bandaranaikes Mann war zuvor bereits Premierminister und im Amt einem Mordanschlag zum Opfer gefallen. Indira Gandhis Vater Jawaharlal Nehru war 1964 als Ministerpräsident ebenso einem Herzinfarkt erlegen wie zwei Jahre darauf sein Nachfolger Lalbahadur Shastri. Sowohl der Bandaranaike- als auch der Gandhi-Clan wollten ihre parlamentarischen Erbhöfe nicht aufgeben. War erst einmal die dynastische Nachfolge gesichert, spielte das Geschlecht des Amtsinhabers keine Rolle mehr.

Auf ähnlichem Weg kam Corazón Aquino an die Macht: Drei Jahre bevor sie 1986 Präsidentin der Philippinen wurde, war ihr Mann Benigno bei dessen Rückkehr aus dem Exil ermordet worden. Benazir Bhutto wurde in Pakistan zwei Jahre nach Aquino erstmals Ministerpräsidentin; das Amt hatte in den 1970er Jahren bis zu seiner Absetzung durch putschende Militärs bereits ihr später hingerichteter Vater Zulfikar Ali Bhutto inne.

Unblutiger verlief die innerfamiliäre Übertragung des höchsten Staatspostens in Argentinien: Cristina Fernández de Kirchner folgte ihrem Mann Nestor nach Ablauf von dessen Amtszeit ins Präsidentenamt. Einige Generationen zuvor hatte Isabel Perón die Position an der Spitze des Staates von ihrem Mann Juan übernommen, der 1974 im Amt verstarb.

Erste gewählte Ministerpräsidentin ohne familiäre Begünstigung war Golda Meir: Die Israelin erklomm 1969 – ein volles Jahrzehnt vor Premierministerin Margaret Thatcher in Großbritannien – die Regierungsspitze in ihrem Heimatland. Ob Meirs Landsfrau Tzipi Livni es ihr gleichtun kann? Zwar gewann die von ihr geführte Kadima-Partei die Parlamentswahl vom 10. Februar dieses Jahres. Mit der Regierungsbildung wurde aber ihr unterlegener männlicher Rivale Benjamin Nethanyahu vom rechtsgerichteten Likud-Block beauftragt.

Am harmonischsten und frauenfreundlichsten scheint es in Skandinavien zuzugehen: Als erstes gewähltes weibliche Staatsoberhaupt Europas verzeichnen die Geschichtsbücher die Isländerin Vigdis Finnbogadottir. Sie zog 1980 in den Präsidentenpalast von Reykjavik ein. In Oslo wurde 1981 Gro Harlem Brundtland als erste norwegische Ministerpräsidentin vereidigt. Ende Februar 2006 bestätigten die Finnen Tarja Halonen als Staatspräsidentin. Auch in den baltischen Ländern ist man fortschrittlich: In Litauen brachte es Kazimiera Prunskiene 1990 zur Premierministerin, in Lettland war Vaira Vike-Freiberga von 1999 bis 2007 Staatspräsidentin.

Ein letzter Blick zurück nach Deutschland lässt die politisch tätigen Frauen im internationalen Vergleich nicht schlecht dastehen: Im Bundestag sind 196 Frauen und 416 Männer vertreten. Viel schlechter sieht es in der Wirtschaft aus. Die einzige Frau unter den 192 Vorstandsmitgliedern in DAX-Unternehmen ist mit dem Abstieg der Hypo Real Estate Holding weg. Der DAX ist wieder ein reiner Männerclub, und das bei einer Frauen-Erwerbsquote von 64 Prozent in Deutschland.

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