Bankenkrise verschärft Hunger

Weltbank: Größte Weltrezession seit 80 Jahren trifft vor allem die Entwicklungsländer

  • Martin Ling
  • Lesedauer: 3 Min.
Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg droht die gesamte Weltwirtschaft zu schrumpfen, warnen die Ökonomen der Weltbank in einer am Sonntag veröffentlichten Studie.

»Mehr Menschen müssen künftig hungern, weil sich die Banker verspekuliert haben.« Das Zitat von Dirk Messner, Geschäftsführer des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik, bringt die Folgen der Finanzkrise für die Ärmsten der Armen auf den Punkt.

Laut der neuen Weltbank-Studie bricht die Industrieproduktion in diesem Jahr um bis zu 15 Prozent ein. Der Welthandel steht vor seinem stärksten Rückgang seit 80 Jahren. Die Krise trifft auch die Entwicklungsländer mit voller Wucht.

Die armen Länder driften laut Weltbank in eine extreme Kreditklemme, weil sie von Privatbanken kaum noch Geld bekommen. Ein Fehlbetrag zwischen 270 und 700 Milliarden US-Dollar tut sich auf. Nur ein Viertel der anfälligsten Staaten habe eigene Mittel, um durch Arbeitsbeschaffungsprogramme oder soziale Sicherheitsnetze einen Anstieg der Armut zu verhindern, warnt die Weltbank.

Der Chef-Ökonom der Weltbank, Justin Yifu Lin, fordert ein Rettungspaket für die Ärmsten. Die reichen Länder sollten einen Teil ihrer Konjunkturprogramme auf Entwicklungsländer ausrichten: Dort könnten Engpässe, die das Wachstum abschnüren, beseitigt und die Nachfrage rasch wieder angekurbelt werden. Eine bestimmte Summe an Staatsmitteln dürfte in armen Ländern mehr Wirkung entfalten als in reichen, meint Lin.

Weltbankpräsident Robert B. Zoellick drängt zu gemeinsamem Handeln. »Diese globale Krise bedarf einer globalen Lösung«, mahnt der US-Amerikaner und verweist auf die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen dem armen und dem reichen Teil des Globus. »Eine ökonomische Katastrophe in Entwicklungsländern zu verhindern, ist wichtig für die weltweiten Bemühungen, die Krise zu überwinden.«

Zoellick fordert Investitionen in Sicherheitsnetze, Infrastruktur, kleine und mittlere Unternehmen. Somit sollen Arbeitsplätze geschaffen werden, um soziale und politische Unruhen zu verhindern. Zoellick richtet seinen Appell an die Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G-20). Deren Finanzminister treffen am Samstag in Großbritannien zur Vorbereitung eines G-20-Gipfels am 2. April in London zusammen.

Laut der Weltbank-Studie geht in 94 von 116 untersuchten Entwicklungsländern das Wirtschaftswachstum zurück. Ein wichtiger Grund ist der Fall der Rohstoffpreise. 43 dieser Länder haben eine hohen Armutsrate. Bisher treffe die Krise vor allem die dynamischsten Wirtschaftszweige, vor allem Exportfirmen in städtischen Gebieten, aber auch den Bau, den Bergbau und die Industrie, heißt es.

Kambodscha hat den Angaben zufolge bereits 30 000 Jobs in der Textilindustrie verloren. Mehr als 500 000 Stellen verschwanden im letzten Quartal 2008 in Indien, etwa in den Branchen Juwelen und Schmuck, Autos und Bekleidung. In China verloren rund 20 Millionen Wanderarbeiter ihre Jobs. Das ist ein Sechstel des Arbeitsheers, das vom Land in die Städte zog.

In der Krise wächst die Abhängigkeit der Länder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas von Entwicklungshilfe. Dabei sind die Geberländer mit ihren Versprechen vom G8-Gipfel 2005 um 39 Milliarden Dollar im Rückstand. Damals sagten die Staats- und Regierungschefs der acht wichtigsten Industrienationen zu, die Hilfe bis 2010 um rund 50 Milliarden zu erhöhen.

Nach der Warnung der Weltbank vor drastischen Auswirkungen der Finanzkrise auf arme Länder hat Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) schnelles Handeln gefordert. Bei allem, was zur Rettung der Weltwirtschaft unternommen werde, müsse auch die Lage der Entwicklungsländer berücksichtigt werden, sagte die Ministerin gestern in Berlin.

Nach einer Studie der Asiatischen Entwicklungsbank hat die Finanzkrise 2008 bereits weltweit Vermögenswerte in Höhe von 50 Billionen Dollar vernichtet. Allein in Asien betrage der Verlust 9,6 Billionen, was etwa der Wirtschaftsleistung eines Jahres entspreche.

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