Waffenlager in der heimischen Stube

Die Debatte über Winnenden verdeckt, dass sich heutzutage jeder eine Pistole besorgen kann

  • Rainer Funke
  • Lesedauer: 3 Min.
Derzeit sind in Berlin 19 000 Bürger registriert, die amtlich befugt sind, eine Schusswaffe zu besitzen, zu benutzen und daheim aufzubewahren.

Es handelt sich vornehmlich um Sportschützen und Jäger, aber auch um Mitarbeiter privater Sicherheitsdienste oder Detekteien. Allesamt bunkern sie zu Hause rund 57 000 Schusswaffen, davon 24 000 Kurz- und 33 000 Langwaffen, also Pistolen oder Gewehre in allerlei Versionen.

Deshalb sieht Innensenator Ehrhart Körting (SPD) – auch unabhängig von der derzeitigen Diskussion zum Amoklauf von Winnenden – Änderungsbedarf im Waffenrecht und kündigte eine entsprechende Initiative für die Innenministerkonferenz Anfang Juni an. Allein, dass irgendwer Mitglied eines Schießsportvereins oder Inhaber eines Jagdscheines sei, reiche derzeit aus, um nach geltendem Recht Schusswaffen besitzen zu dürfen. Der unbegrenzte Erwerb und Besitz von Langwaffen für Jagdscheininhaber sei aber aus dem Jagdbedürfnis nicht zu rechtfertigen, so Körting.

Und warum Jäger zudem zwei Kurzwaffen – also Pistolen oder Revolver – besitzen dürfen, dafür gebe es »keine wirklich schlüssige Begründung«, meint Körting. »Die jetzige Regelung dient nicht der Jagd, sondern der Waffenindustrie und dem Waffenfetischismus.«

Da fühlt sich die deutsche Jägerschaft zu Unrecht angegriffen: Die Tat eines verwirrten Menschen dürfe nicht zu einem Generalverdacht führen, heißt es beim Jagdschutz-Verband. Es komme vielmehr darauf an, alle Möglichkeiten des strengen Waffenrechts auszuschöpfen. Der Jäger sei auf Kurzwaffen angewiesen, etwa, um angeschossene Tiere oder durch Unfälle verletztes Wild aus nächster Nähe erlegen zu können.

Eigene Ansätze zu Überlegungen, wie man dem aufgekommenen Problem beikommen könnte, blieben ausgeklammert. Immerhin hat es seit Winnenden allein in Berlin bislang 20 Ankündigungen für ähnliche Amoktaten gegeben. Ob die potenziellen Täter Zugangsmöglichkeiten zu Waffen haben könnten, blieb ungeklärt.

Besonderes Ärgernis scheinen in diesem Zusammenhang die Erbwaffen zu sein: Alljährlich sollen bundesweit 6000 legale Gewehre oder Pistolen auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Sie werden in der Regel weder geklaut noch verhökert, wie berichtet wird, sondern vererbt und hängen dann an Wänden, liegen auf Dachböden. Körting schwebt vor, das sogenannte Erbenprivileg gänzlich abzuschaffen, also: »Auch für Erben von Schusswaffen sollte der Besitz nur zugelassen bleiben, wenn die Erben ein eigenes Bedürfnis für den Waffenbesitz nachweisen.«

Natürlich geht man im Innensenat davon aus, dass es keine Allheilmittel gegen Situationen wie die in Winnenden gibt. Voriges Jahr, als mit dem 1. April das Waffengesetz verschärft wurde, hatte Innensenator Körting dem ND gesagt, dass »Verbote keine Allheilmittel sind, aber zum Bewusstseinswandel beitragen«. Damals war als Reaktion auf stark angestiegene Jugendgewalt der Besitz von Messern mit feststehenden und mehr als zwölf Zentimeter langen Klingen sowie Einhandmessern verboten worden. Niemand wusste so ganz genau, um welche Größenordnungen es sich damals bei solchen Waffen handeln könnte. Aber es machten Zahlen von rund 500 000 die Runde.

Eberhard Schönberg, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), bleibt angesichts der derzeitigen Debatte und der vielen Rezepte allerdings weitgehend skeptisch, wie er dieser Zeitung sagte. Amokläufe wie der in Winnenden seien kaum zu verhindern, auch nicht mit einem verschärften Waffenrecht. Vor allem deshalb, weil sich die allermeisten Überlegungen als wenig praxistauglich erweisen würden. Denn wer eine solche Tat vorbereite, der brauche nicht den Vater mit dem Waffenschrank in der Stube, im Keller oder in der Garage. Jedermann sei heutzutage und hierzulande in der Lage, sich innerhalb von drei oder vier Tagen eine Waffe zu besorgen.

Eine Lagerung in Räumlichkeiten von Schützengilden oder Jagdverbänden würden es seiner Ansicht nach Kriminellen gegenüber dezentraler Lagerung sogar erleichtern, sich Waffen zu beschaffen. Und die Polizei wäre gar nicht in der Lage, die bundesweit geschätzten 15 bis 20 Millionen legalen Schusswaffen im Privatbesitz aufzubewahren und faktisch bei Bedarf rund um die Uhr herauszugeben oder wieder einzulagern.

Winnenden mache für ihn deutlich, dass unsere Gesellschaft ein Stück weit krank sei – und die Jugend leide auf vielfältige Weise darunter, denkt Schönberg.

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