Sitzung statt Arznei

Wie Patienten mittels Biofeedback Körperprozesse regulieren

  • Walter Willems
  • Lesedauer: 3 Min.
Puls, Blutdruck, Temperatur: Der Körper steuert viele Vorgänge unbewusst. Aber der Mensch kann diese Prozesse durchaus beeinflussen – sofern er sie kennt. Mit Biofeedback sollen Patienten lernen, bestimmte Körperfunktionen willentlich zu regulieren. Das Verfahren kann etliche Beschwerden lindern, ist aber technisch aufwändig.

Ende der 1960er Jahre belohnte der US-Forscher Neil Miller Ratten dafür, wenn ihre Pulsfrequenz stieg. Binnen Stunden lernten die Tiere, ihre Herzfrequenz zu beschleunigen, um an die Belohnung zu kommen. »Die Erkenntnis war damals sensationell«, erzählt der Psychologe Winfried Rief von der Universität Marburg.

Auf dieser Basis beruht das Biofeedback-Verfahren: Körpervorgänge wie Puls oder Blutdruck werden mit Fühlern gemessen und meist als optische Signale auf einem Bildschirm angezeigt. So soll der Patient gezielt lernen, bestimmte Prozesse aktiv zu beeinflussen – anfangs mit einem Gerät, später ohne äußere Hilfe. Angewandt wird Biofeedback insbesondere bei Beschwerden, die unter Stress auftreten. So sehen Hypertoniker auf dem Monitor direkt, wie bestimmte An- oder Entspannungstechniken ihren Blutdruck beeinflussen. Menschen mit chronischen Schmerzen erhalten durch an Muskeln angebrachten Sonden Aufschluss darüber, wann sie verspannen. Inkontinenz-Patienten, deren Nervenbahnen noch intakt sind, lernen, ihre Schließmuskeln wieder zu kontrollieren.

Die Wirksamkeit belegen diverse Übersichtsstudien, etwa eine Untersuchung von Marburger Forschern zu Migräne. Sie ergab, dass Biofeedback nach durchschnittlich elf Sitzungen Häufigkeit und Dauer von Migräneanfällen senkte. Hilfreich war vor allem das sogenannte Blutvolumenpuls-Feedback, bei dem Patienten lernen, ihre Schläfenarterie willentlich zu verengen oder zu erweitern. Die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) empfiehlt das Verfahren zwar grundsätzlich – wegen des technischen Aufwands aber eher jenen Patienten, denen einfachere Methoden wie Entspannungstechniken nicht helfen. »Die biologische Plausibilität ist offensichtlich«, sagt Edzard Ernst, Leiter des Lehrstuhls für Komplementärmedizin der englischen Universität Exeter, aber Biofeedback führe ein Schattendasein. Ärzte fänden es einfacher, zum Rezeptblock zu greifen als jemanden in mehreren Sitzungen zu behandeln. Aber auch dem Patienten verlangt die Methode aktiven Einsatz ab. »Biofeedback erfordert ein intensives Training«, sagt Jörg Heuser, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Biofeedback (DGBfb). Zwar mag die Motivation eines Patienten steigen, wenn er schon in der ersten Sitzung auf dem Monitor kleine Erfolge sieht. Aber die Technik hat ihren Preis: Ein gutes Gerät kostet laut Heuser rund 6000 Euro, die Ausbildung weiteren 4000 Euro. Krankenkassen erstatten die Kosten des Verfahrens nur im Rahmen einer Verhaltenstherapie. Auch dies trägt dazu bei, dass Biofeedback vielerorts kaum angeboten wird. Da Biofeedback kein geschützter Begriff ist, kann jeder ein solches Gerät kaufen und damit alle möglichen Leiden behandeln. Die Qualität eines Anbieters können Patienten kaum überprüfen. Und ein guter Therapeut braucht Erfahrung, um einschätzen zu können, ob Biofeedback für einen bestimmten Patienten grundsätzlich sinnvoll ist. So mag die Methode einem Hypertoniker helfen, der auf Stress mit Blutdruckanstieg reagiert. Treibt jedoch ein Nierenleiden die Werte in die Höhe, ist der Nutzen der Technik fraglich. Und bei Rückenschmerzen kann das Verfahren zwar Schmerzen lindern, die von Verspannungen herrühren. Beruhen die Beschwerden aber auf einer Verkürzung von Muskeln, ist intensives Dehnen ratsamer.

Noch in den Anfängen steckt das sogenannte Neurofeedback. Dabei soll der Patient auf bestimmte Hirnareale Einfluss nehmen, deren Aktivität per EEG rückgemeldet wird. Zum Einsatz kommen könnte dies bei Schlaganfallpatienten, Menschen mit Epilepsie oder auch bei Kindern mit der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS), wie eine Studie der Universität Erlangen jüngst zeigte.

Die Forscher ließen acht- bis zwölfjährige Kinder vor einem Computermonitor durch ihre Gehirnströme Computer-Programme wie etwa ein virtuelles Fußballspiel steuern. Im Rahmen der Behandlung sanken Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität um durchschnittlich 25 bis 30 Prozent. Das Verfahren könne Medikamente zwar nur in Ausnahmefällen ersetzen, sei aber ein weiterer Baustein in der ADHS-Therapie.

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