nd-aktuell.de / 07.04.2009 / Politik / Seite 7

Die Kurdenpolitik der Türkei ist gescheitert

DTP-Vizechef Kamuran Yüksek im Interview

Kamuran Yüksek ist stellvertretender Vorsitzender der prokurdischen Partei der Demokratischen Gesellschaft (Demokratik Toplum Partisi – DTP), die bei den jüngsten Kommunalwahlen in den kurdischen Regionen der Türkei bemerkenswert erfolgreich war. Für ND befragte Martin Dolzer den Politiker.
Die Kurdenpolitik der Türkei ist gescheitert

ND: Statt 57 regiert die DTP nach den jüngsten Kommunalwahlen 99 Gemeinden. Wie erklären Sie den Erfolg?
Yüksek: Ein Hauptgrund unseres Erfolgs ist, dass wir mit unserem Politik-ansatz versuchen die Bevölkerung im Rahmen einer transparenten, bedürfnisorientierten, linken Regionalpolitik in sämtliche Entscheidungen einzubinden. Auch die mangelnde Perspektive und Konsistenz der Politik der regierenden AKP haben sicherlich zu unserem Erfolg beigetragen. In Anbetracht der Tatsache, dass wir vor den Wahlen kaum Raum in den Medien erhielten und auch keine Wahlkampfkostenerstattung bekommen, ist der Erfolg noch höher zu bewerten.

Alle gewonnenen Gemeinden liegen in den kurdischen Provinzen. Warum, glauben Sie, sieht die kurdische Bevölkerung die DTP als ihre Interessensvertretung an?
In vielen Teilen der kurdischen Provinzen herrscht noch immer Krieg. Die jahrzehntelange staatliche Politik des Entzugs sozialer und ökonomischer Rechte, die andauernde Folterpraxis und extralegale Hinrichtungen sind für die Menschen eine schwere Last. Da auch wir unter Gefährdung unserer Freiheit und unseres Lebens für Menschenrechte, Demokratie und Frieden einstehen, sind wir glaubwürdig. Wir wollen die politische und administrative Struktur der Türkei auf die Basis einer größeren regionalen Autonomie und einer neuen Verfassung stellen, die die Rechte aller Identitäten und Glaubensrichtungen garantiert. Wir arbeiten darüber hinaus seit Jahren daran, feudalistische Strukturen aufzubrechen und die Gleichberechtigung der Frau in allen gesellschaftlichen Bereichen umzusetzen.

In Agri hat die DTP das Wahlergebnis aufgrund offensichtlichen Betrugs angezweifelt. Seitdem kommt es in der Stadt zu Protesten. Zahlreiche Menschen wurden verhaftet. Wie ist die Situation dort?
Laut offiziellem Ergebnis hat die AKP die Wahl in Agri mit einem Vorsprung von 2000 Stimmen gewonnen. Es wurde jedoch aufgedeckt, dass die Wahlkommission 3000 Stimmen der DTP ohne ersichtlichen Grund für ungültig erklärt hat. Zudem kam es zu weiteren dokumentierten Unregelmäßigkeiten. Unser Anliegen ist eine Wahlwiederholung oder die Neuauszählung der Stimmen. In erster Instanz wies die Wahlkommission den Einspruch allerdings zurück. Das ist der Grund für die Proteste der Bevölkerung, die seit Tagen anhalten. Die Polizei reagiert bisher mit Gewalt auf die Demonstrationen. Dutzende Personen wurden verletzt, etwa 100 wurden verhaftet. Viele von ihnen sind in der Haft Folter und Misshandlungen ausgesetzt.

Gab es auch an anderen Orten Wahlbetrug?
Im Stadtzentrum von Mardin, wo wir mit sehr geringem Rückstand verloren haben, wurden im Müll verbrannte DTP-Stimmen gefunden. Auch über den Diebstahl von Urnen wurde berichtet. Dagegen haben wir Einspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden wurde. Im Zentrum von Bingöl hat die DTP ebenfalls nur knapp die Mehrheit verpasst. Unsere Stimmen wurden dort teilweise anderen Parteien zugeschrieben. Außerdem wurden – das ist belegt – 1800 Stimmen aus einem anderem Ort für die Bürgermeisterwahl im Zentrum benutzt. Die Wahlkommission hat unsere Klage zwar angenommen, das Ergebnis jedoch nicht korrigiert. Auch in Mus und Bitlis kam es zu ähnlichen Formen von Wahlbetrug. Die AKP versuchte zudem, die Armut der Menschen auszunutzen und Stimmen durch Geschenke oder Geld zu kaufen. Gouverneure, Polizei und Militär haben die AKP darüber hinaus durch Druck auf die Bevölkerung, unterstützt.

In den türkischen Medien hat sich die Qualität der Diskussion um die kurdische Frage nach den Wahlen verändert. Der türkisch-kurdische Konflikt wird mittlerweile ergebnisoffen diskutiert – zum Teil sogar, ohne die PKK als politischen Akteur zu verleugnen. Worin vermuten Sie die Gründe einer solchen Veränderung?
Die Assimilationspolitik des türkischen Staates gegenüber den Kurden ist gescheitert. Durch die Wahlen ist noch einmal besonders deutlich geworden, dass die Bevölkerung nicht gewillt ist, eine auf Gewalt, Vernichtung und Krieg beruhende Perspektive zu akzeptieren. Die kurdische Freiheitsbewegung leistet seit 30 Jahren Widerstand gegen Unrecht. Auch die PKK und Abdullah Öcalan, dessen Freilassung wir fordern, versuchen eine demokratische und friedliche Lösung des Problems voranzutreiben. Wir hoffen und wünschen, dass diese Gelegenheit nicht verpasst wird.

Unserer Meinung nach ist ebenfalls sehr wichtig, dass die EU und die internationale Staatengemeinschaft zu einer friedlichen Lösung des Problems beitragen.