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Bestellter Jubel und inszenierte Feiern

Irak: Realität propagandistisch umgedeutet

  • Karin Leukefeld
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Sturz der Bagdader Saddam-Statue im April 2003 war eine Propagandashow der Besatzer. Iraks Regierung hat davon offensichtlich viel gelernt.

Bagdad, 9. April 2003. Die US-Truppen hatten sich gerade in den Hotels »Palestine« und »Sheraton« einquartiert, als für die vielen ausländischen Medien ein Coup inszeniert wurde: der Sturz der Statue Saddam Husseins auf dem Ferdos-Platz unmittelbar vor den beiden Hotels. Doch die »irakischen Massen«, die den Sturz des Standbilds vor Kameras bejubelten, waren keineswegs so zahlreich, wie es den Anschein hatte. Bilder vom Dach des »Palestine« zeigen, dass der Platz von Panzern abgeriegelt war. Um die Statue hatte sich eine kleine Menschenmenge versammelt, darunter viele US-Soldaten, die der Figur erst ihre Flagge überstülpten und sie dann mit Hilfe eines Panzers vom Sockel rissen. Manche der beteiligten Iraker entpuppten sich später als Übersetzer der US-Amerikaner oder Leibwächter von Irakern, die »auf den Panzern der Amerikaner« aus dem Exil zurückkehrt waren.

In der Menge war auch ein kleiner Junge zu sehen, der mit einem Schuh auf den Kopf der Statue einschlug. Es war Hassan, der Schuhputzer, der vor der Invasion vor den Hotels saß und sich mit seinem Job einige Dinar verdiente. Hassans Bild ging um die Welt. Reporter schwelgten, er könne nun in die Schule gehen, weil sein Vater endlich Arbeit gefunden habe.

Doch was ist aus Hassan geworden? Vielleicht hat er einen Ausbildungsplatz gefunden, vielleicht konnte er studieren. Vielleicht sind er und seine Eltern noch am Leben, vielleicht wurde ihm ein Schicksal erspart, wie es dem kleinen Jungen bevorsteht, der wie durch ein Wunder einen der jüngsten Bombenanschläge in Bagdad überlebte. »Der Vater hat schwere Verbrennungen, wir wissen nicht ob er überleben wird«, sagte Asaad Raad, der den Kleinen in seinen Armen hielt. Die Mutter und ein anderes Kind seien tot gewesen, erzählt der Augenzeuge weiter: »Wir nahmen dieses Baby aus dem Auto, doch was sollen wir mit ihm tun?«

Fünf Millionen Waisenkinder leben nach Regierungsangaben in Irak. Schon vor der US-geführten Invasion gab es Waisen im Land und das Kinderhilfswerk UNICEF verhandelte mit der Regierung in Bagdad darüber, dass elternlose Straßenkinder nicht in einem Gefängnis, sondern in einem Kinderheim untergebracht werden sollten. Seit 2003 aber ist die Zahl der Waisenkinder in Irak sprunghaft gestiegen, gibt die Regierung zu. Ihre Versorgung ist nicht gesichert. Mitarbeiter des unabhängigen Informationsnetzwerks »Real News« haben in Bagdad acht Waisenhäuser gefunden, in denen Kinder zwischen 6 und 18 Jahren betreut werden. Wie viele staatliche Einrichtungen es gibt, ist nicht bekannt. Das Al A'ssal Haus, das Halb- und Vollwaisen aufnimmt, ist dank einer privaten Initiative engagierter Frauen gegründet worden. Weder die Regierung noch eine Hilfsorganisation stellen Geld zur Verfügung, die Einrichtung finanziert sich aus Spenden. Und sie stellt bevorzugt Witwen als Betreuerinnen ein, um diesen Frauen, die unter den Folgen des Krieges besonders zu leiden haben, ein Einkommen zu verschaffen. Die irakische Regierung hat trotzdem am 2. April medienwirksam einen »Tag der Waisenkinder« inszeniert, zu dem auch die Presse eingeladen war. Perspektiven für die Zukunft der Kinder wurden dabei nicht vorgelegt.

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