nd-aktuell.de / 22.04.2009 / Politik / Seite 3

»Religion ist freiwillig und soll es auch bleiben«

Kevin Kühnert vom Jugendbündnis »Pro Ethik« ist gegen eine Rolle rückwärts in Berlin

Kevin Kühnert (Foto ganz rechts) ist aktiv im Jugendbündnis »Pro Ethik«. Der Berliner Juso-Landesvize arbeitete nach dem Abitur im Freiwilligen Sozialen Jahr im Kinder- und Jugendbüro Steglitz-Zehlendorf, einer Informationsstelle für Jugendpartizipation. In den letzten zwei Jahren war er Vorsitzender des Bezirksschülerausschusses Steglitz-Zehlendorf. »Ich möchte auch andere junge Menschen ermutigen, sich für Partizipation einzusetzen«, sagt er. Mit dem 19-Jährigen sprach ND-Mitarbeiter Andreas Heinz.
»Religion ist freiwillig und soll es auch bleiben«

ND: Sie und Vertreter anderer Jugendorganisationen machen sich stark für den Ethik-Unterricht an Schulen. Damit sprechen Sie sich gegen Religion als Wahlpflichtfach aus. Haben Sie etwas gegen Religion?
Kühnert: Nein, natürlich habe ich nichts gegen Religion. Ich selbst bin konfessionslos, würde mich als Agnostiker bezeichnen, lasse aber natürlich jedem seinen Glauben, der das haben möchte. Religion ist für mich freiwillig und soll es auch bleiben.

In Bundesländern wie Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen oder Mecklenburg-Vorpommern ist das Fach Religion ordentliches Lehrfach. Warum nicht in Berlin und Brandenburg?
In Berlin gilt die »Bremer Klausel«. Die besagt, dass es hier seit mittlerweile 60 Jahren Religion nicht als Pflichtfach gibt. Das ist historisch so gewachsen, und ich fände es merkwürdig, jetzt – 60 Jahre später, in denen die Kirche eher an Bedeutung verloren als gewonnen hat – so eine Rolle rückwärts zu machen und plötzlich die Kräfteverhältnisse umzudrehen.

Was spricht denn dagegen, dass Religion ordentliches Lehrfach wird?
Für mich spricht dagegen, dass Religion Wahlpflichtfach werden soll und dass man es nicht mit dem Ethik-Unterricht vergleichen kann. Beides zielt auf ganz unterschiedliche Inhalte ab. Ethik-Unterricht wollen wir für alle haben, weil wir finden, dass die Inhalte, die dort besprochen werden, auch allen zugänglich gemacht werden müssen. Religion hingegen thematisiert Inhalte, die die jeweiligen Glaubensrichtungen betreffen. Und wenn die das unter sich besprechen möchten, sollen sie es auf freiwilliger Basis gerne machen.

Wird denn überhaupt noch jemand Religion wählen, wenn er nicht muss?
Die Erfahrungen im Moment zeigen, dass es durchaus noch Menschen gibt, die Religion wählen. Die Frage ist eher: Wer wählt Religion, wenn es Ethik nicht gibt? Und da, finde ich, zeigen die Erfahrungen aus der Zeit, bevor der Ethik-Unterricht eingeführt wurde, dass das kaum der Fall war. Kurz bevor der Ethik-Unterricht eingeführt wurde, hat nur ein Viertel der Schülerinnen und Schüler in Berlin überhaupt an einem Religionsunterricht teilgenommen. Das ist nicht besonders viel, finde ich.

Sie argumentieren auch, dass Ethik und Religion keine einander widersprechenden Weltanschauungen vermitteln. Können Sie das etwas näher erklären?
Die Initiative »Pro Reli« versucht den Eindruck zu vermitteln, als würde es in Ethik und in Religion quasi um die gleichen Inhalte gehen und es käme jetzt nur darauf an, wer das Ganze interpretiert. Und das sehen wir auf jeden Fall anders. Wir glauben, dass Ethik ein viel weitergehendes Fach ist und sich eben nicht nur mit Fragen von Glaubensgemeinschaften beschäftigt. Das ist auch ein Thema, aber eben nur eines unter vielen. Da geht es um gesellschaftliche Grundwerte wie Solidarität, wie Demokratie, wie friedlichen Umgang miteinander usw. Ich denke, das kann der Ethik-Unterricht einfach viel umfassender hervorheben.

Auf Ihren Faltblättern heißt es: »Bitte umblättern, entdecke andere Seiten und lerne unterschiedliche Anschauungen kennen, wenn es um die Ethik geht.« Bei der Religion sagen Sie dagegen: »Nicht umblättern! Es reicht, wenn du diese eine Seite kennst«. Ist das nicht die Demagogie, die Sie dem Bündnis »Pro Reli« vorwerfen?
Das ist natürlich überspitzt in dem Flyer, das gebe ich zu. Allerdings soll es eben noch mal hervorheben, dass der Ansatz von »Pro Reli«, bei dem nur ein Religionsfach von Schülern gewählt werden könnte oder eben ein Ethikfach, dazu führt, dass einzelne Schüler nur die Sichtweise ihrer speziellen Glaubensgemeinschaft kennenlernen. Das soll mit dem »Nicht umblättern« wiedergegeben werden, während der Ethik-Unterricht eben die Möglichkeit gibt, sich mit allen Glaubensgemeinschaften und noch mit weiteren Themen zu beschäftigen und dies neutral sozusagen gegeneinander zu stellen und zu vergleichen.

Die Befürworter von »Pro Ethik« argumentieren damit, dass dieser Unterricht den Schülern die Möglichkeit gibt, etwas über die verschiedenen Religionen zu lernen und zu diskutieren. So könne man unterschiedliche Weltanschauungen besser kennenlernen. Nun wollen aber auch viele junge Muslime »Pro Reli« unterstützen. Was halten Sie davon?
Das hat »Pro Reli« relativ geschickt gemacht in ihrer Kampagne. Sie hat versucht, auch andere Religionsgemeinschaften einzubinden. Allerdings würde ich da gerade auch den Muslimen empfehlen, noch mal genau nachzulesen, womit »Pro Reli« eigentlich argumentiert. Denn eines der beliebten Argumente von »Pro Reli« ist immer religiöser Extremismus, vor dem angeblich geschützt werden soll, und zwar dadurch, dass ein staatlich überwachter oder ein staatlich beaufsichtigter Religionsunterricht stattfindet. Die unterschwellige Unterstellung ist, dass man unter anderem Muslime so unter Kontrolle kriegen könnte, dass sie keine religiöse Hetze betreiben. Damit wird versucht, eine konservative Klientel zu mobilisieren. Da sollte man noch mal hinterfragen, ob das wirklich aus besonderer Nächstenliebe zu den Muslimen in unserer Gesellschaft geschieht.

Sie arbeiten im Bündnis »Pro Ethik« mit. Welche Organisationen haben sich dort zusammengeschlossen?
In unserem Jugendbündnis sind vertreten: die Jusos als Jugendorganisation der SPD, die Linksjugend ['solid], die Grüne Jugend, die DGB-Jugend und – worüber wir sehr froh sind – der Landesschülerausschuss. Damit können wir auch zeigen, dass diejenigen, die es in Berlin wirklich betrifft, nämlich die Schülerinnen und Schüler, hinter unseren Positionen stehen und den Ethik-Unterricht befürworten.

Bei einer Aktion haben einige von Ihnen schwarze Müllbeutel übergestreift. Ein Symbol wofür?
Das war kein Bezug darauf, dass wir Religion als Müll oder ähnliches ansehen, sondern es ging einfach nur darum, das Design unserer Flyer zu verbildlichen. Und während einige bunte Klamotten anhatten, haben sich andere schwarze Müllbeutel übergezogen. Das war auch etwas überspitzt dargestellt.

Was trieb Sie persönlich dazu, sich für den Ethik-Unterricht einzusetzen und nicht »Pro Reli« zu unterstützen?
Ich habe selber als Schüler keinen Ethik-Unterricht mehr in Berlin mitbekommen, habe mir den jetzt aber mal angeschaut und mich in eine Unterrichtsstunde gesetzt. Mich hat das Konzept überzeugt, und ich habe von vielen Schülerinnen und Schülern gehört, dass sie sehr zufrieden damit sind, dass es mal einen Unterricht gibt, der nicht so streng an Lehrplänen orientiert ist, sondern in dem es Freiraum gibt. Das habe ich als Schüler immer vermisst und ich glaube, ich hätte dieses Fach gerne gehabt. Deswegen setze ich mich dafür ein, dass das andere jetzt haben.

Fühlen Sie sich von »Pro Reli« provoziert?
Nein, ich fühle mich nicht provoziert. Ich kann über das eine oder andere schmunzeln. Wenn mich zum Beispiel jetzt der Wahl-Potsdamer Günther Jauch in Berlin von jedem Plakat anlacht und mir mitteilt, dass es hier um Wahlfreiheit geht, dann ist das schon unterhaltsam. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Position von »Pro Reli« eben keine Wahlfreiheit darstellt, sondern ein Wahlzwang ist: entweder Religion oder Ethik.

Wenn das die Freiheitsdefinition von »Pro Reli« ist, gut, dann müsste man sich mit denen noch mal über diesen Begriff unterhalten.

Seit Monaten wird in Berlin um den Religionsunterricht gestritten. Wesentlich hat zu dieser Debatte die Initiative »Pro Reli« beigetragen. In einem Volksentscheid am 26. April steht ihr Gesetzentwurf zur Abstimmung. Stimmen die Berliner dafür, müssen sich künftig Schüler in der Hauptstadt ab der 7. Klasse entweder für Ethik oder für Religion entscheiden. Setzen sich der rot-rote Senat und die Gegeninitiative »Pro Ethik« durch, bleibt es bei der bisherigen Regelung: Für alle Schüler von der 7. bis 10. Klasse ist das Fach Ethik Pflicht; freiwillig und zusätzlich können sie am Religionsunterricht teilnehmen, der von den Kirchen an den Schulen angeboten wird.