Expertin: Risiko sozialer Unruhen nicht kleinreden

Niedersachsens CDU-Ministerpräsident Wulff nimmt SPD-Präsidentschaftskandidatin Schwan in Schutz

  • Lesedauer: 3 Min.
Die Debatte über die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf das soziale Klima in Deutschland hält an.

Berlin (Agenturen/ND). Die Sozialwissenschaftlerin Jutta Allmendinger schließt soziale Unruhen in Deutschland aufgrund der wirtschaftlichen Krise nicht aus. Wenn es wieder fünf Millionen Arbeitslose gebe und keine Konzepte zur Integration dieser Menschen in die Gesellschaft, wolle sie »dieses Risiko nicht kleinreden«, sagte die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) am Montag. Zugleich kritisierte sie, die von der Bundesregierung aufgelegten Konjunkturprogramme vernachlässigten die Weiterqualifizierung von Arbeitnehmern. Denn Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte hätten es beim Einstieg ins Erwerbsleben nach wie vor besonders schwer.

Nach einer jüngsten WZB-Studie konnten beide Gruppen in den Jahren 2002 bis 2007 nicht von dem konjunkturellen Aufschwung profitieren. Dagegen hätten sich die Einstiegschancen vor allem ostdeutscher und älterer Erwerbsloser verbessert. Ostdeutsche hätten zuletzt nahezu die gleichen Chancen gehabt, einen Arbeitsplatz zu finden, wie Westdeutsche. Diese Errungenschaften müssten in der Krise gesichert werden, sagte Allmendinger. Sie plädierte dafür, alles zu tun, um Menschen in Arbeit zu halten. Es sei erwiesen, dass Menschen mit Arbeit im Leben besser zurechtkämen also ohne. Die Expertin sprach sich für die derzeit diskutierte Verlängerung des Kurzarbeitergeldes aus, forderte aber gleichzeitig »vernünftige Weiterbildungskonzepte«.

Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) hat in der Debatte um mögliche soziale Unruhen SPD-Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan gegen Vorwürfe in Schutz genommen. Wer sie kenne, wisse, »dass sie keine sozialen Unruhen schüren wollte«, sagte Wulff der in Hannover erscheinenden »Neuen Presse« vom Montag. »Wir sollten Frau Schwan, unserem Bundespräsidenten Köhler und allen anderen, die nachdenklich reden, aufmerksam zuhören.«

Schwan hatte ähnlich wie DGB-Chef Michael Sommer davor gewarnt, dass es wegen der aktuellen Wirtschaftskrise zu einer »explosiven Stimmung« in Deutschland kommen könne.

Chef-Volkswirt: Keine Wirtschaftskrise

Der Chef-Volkswirt der BayernLB, Jürgen Pfister, warnte unterdessen vor dem inflationären Gebrauch des Begriffs »Wirtschaftskrise«. Das Wort wecke zu Unrecht Assoziationen mit der Großen Depression, kritisierte er am Montag in München. Mit Bedauern habe er festgestellt, dass der Begriff auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verwendet werde. »Es macht keinen Sinn, von der tiefsten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg zu sprechen, weil es nach dem Zweiten Weltkrieg keine Wirtschaftskrise gab.« Deutschland leide unter einer Finanzkrise und stecke in einer Rezession. Von einer Wirtschaftskrise könne aber keine Rede sein.

Auf dem Arbeitsmarkt wird sich der Abschwung laut Pfister erst in den kommenden Monaten richtig bemerkbar machen. »Ab dem Sommer rechnen wir mit einem ganz deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit.« Mit einer deutlichen Verbesserung der Lage rechnet er auch im kommenden Jahr noch nicht. »2010 wird kein Aufschwungjahr werden«, betonte der Chef-Volkswirt.

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