Große Literatur im Kleinformat

Ein Laden im Nikolaiviertel handelt mit Minibüchern von Goethe über Marx bis zur Thora

  • Anja Sokolow
  • Lesedauer: 3 Min.

Platzprobleme kennt der Buchhändler Falk Thielicke nicht. In seinem kleinen Geschäft im Nikolaiviertel bringt er in wenigen Regalen mühelos Hunderte Klassiker und Neuerscheinungen unter. Thielicke hat sich auf Minibücher spezialisiert. Sein Geschäft »Minilibris« in der Spandauer Straße 27 ist nach Angaben seines Besitzers das einzige seiner Art in Europa. »Den nächsten Minibuchladen gibt es erst wieder in Tokio«, sagt der Inhaber.

Etwa 500 verschiedene Titel hat er im Angebot – vom Paperback für 2,25 Euro bis zu ledergebundenen Luxusausgaben, die das Zehnfache und mehr kosten. Klassiker wie Goethes »Faust« verkauft er ebenso wie Kochbücher oder das Kamasutra im Miniformat. Selbst die Antrittsrede des US-amerikanischen Präsidenten Barack Obama gibt es in einer handlichen Ausgabe für die Jackentasche. Ergänzt wird das Angebot durch verschiedene Bände aus der Reihe »bibliotheca minilibris«, die Thielicke selbst herausgibt.

Alle Bücher erfüllen die Kriterien, die 1983 anlässlich der ersten internationalen Miniaturbuchausstellung in Ljubljana festgelegt wurden: »Minibücher dürfen die Maße 100 mal 100 Millimeter nicht überschreiten und müssen mit bloßem Auge lesbar sein«, erklärt Thielicke. Nach Lupen sucht man deshalb in seinem Laden vergeblich. Seit zwölf Jahren handelt der 50-Jährige bereits mit Minibüchern. Vor 36 Jahren begann die Leidenschaft für Literatur im Miniaturformat.

Für die Welt der kleinen Bücher begeistern sich deutschlandweit etliche Sammler, die in drei Vereinen organisiert sind. Nach Angaben des Vorsitzenden des »Freundeskreises Miniaturbuch Berlin«, Peter Goslar, zählt allein dieser Verein rund 100 Mitglieder – Sammler, Herausgeber und Hersteller, die sich regelmäßig bei Stammtischen und Bücherbörsen austauschen.

Große, unhandliche Bücher seien ihm immer ein Graus gewesen, erinnert sich der studierte Wirtschaftsingenieur Thielicke. 1974 kaufte er sich sein erstes Minibuch und kam von den kleinen Kostbarkeiten nicht mehr los. »Mich faszinierte von Anfang an die komplette Lesbarkeit der Bücher trotz ihrer geringen Größe«, sagt er.

Einen Mangel an Minibüchern gab es in der DDR nicht. Sie war einer der größten Produzenten in Europa. »656 verschiedene Minibuchtitel sind bis zur Wende erschienen«, erklärt Thielicke. Zu den bekanntesten Verlagen gehörten die Offizin Andersen Nexö und der Verlag für die Frau.

Bereits im 15. Jahrhundert seien erste Minibücher erschienen, zunächst vor allem mit religiösen Texten, erklärt der Händler. Diese Kleinformate seien besonders beliebt gewesen, weil sie jederzeit mitgeführt werden konnten. »Mit der Verbesserung der Drucktechniken verbreiterte sich auch das Themenspektrum. Im 19. Jahrhundert gab es neben Bibeln und Gebetsbüchern bereits Kinderbücher und literarische Almanache«, erklärt Thielicke. Später kamen natur- und geisteswissenschaftliche Texte, Wörterbücher und Reiseführer hinzu. Zu seiner privaten Sammlung zählt der Händler rund 4000 Minibücher aus aller Welt. Die schönsten und interessantesten stellt er in den Vitrinen neben dem Verkaufsraum aus. Dort finden sich das Kommunistische Manifest, eine zehnbändige Reihe von Erich Honecker über den Sozialismus, aber auch Bibel, Koran oder Thorarollen im Miniaturformat.

Sein kleinstes Buch mit Goethes Gedicht »Gefunden« ist gerade einmal einen Zentimeter breit und hoch. Es ist problemlos lesbar: Jede Seite enthält nur wenige Worte. dpa

www.minibuch-berlin.de, www.minilibris.de

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